Mitarbeiterporträts

„Ich bin wie ein Schweizer Taschenmesser“

Die etwas andere Rubinhochzeit: Seit 40 Jahren leben Joachim Heier und das DIK eine glückliche Verbindung in der Gummi- und Kunststoffforschung

von Isabel Link

· Lesezeit 5 Minuten.
Mischen, vulkanisieren, prüfen: Alleskönner Joachim Heier kennt sich mit den Werkstoffen Gummi und Kunststoff bestens aus. Foro: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Hannover. Seit 40 Jahren gibt es das Deutsche Kautschuk-Institut (DIK) in Hannover – und genauso lange arbeitet Joachim Heier dort! Seinen ersten Arbeitstag hatte er kurz vor der offiziellen Eröffnung. Im Gespräch mit KAUTSCHUK erinnert er sich an die wilden Anfänge und daran, wie es gelang, den Traum von einem weltweit beachteten Forschungszentrum wahr werden zu lassen.

Ein vergnügtes Funkeln tritt in Heiers blaue Augen, wenn er an die ersten Monate seines Berufslebens zurückdenkt. 22 Jahre jung war der frischgebackene physikalisch-technische Assistent, als er sich vor vier Jahrzehnten um eine Stelle am neu gegründeten DIK bewarb. Und zu seiner großen Überraschung sofort eingestellt wurde. Schon eine Woche später, im Oktober 1984, hatte er seinen ersten Arbeitstag. Ohne zu ahnen, worauf er sich da einließ.

Damals sah die Welt noch anders aus – und die Apparate auch: Heier (vorne im Bild) zu sehen auf einer Archivaufnahme. Foto: DIK

Damals sah die Welt noch anders aus – und die Apparate auch: Heier (vorne im Bild) zu sehen auf einer Archivaufnahme. Foto: DIK

Heute ist das DIK eines der international führenden Forschungsinstitute der Kautschuk- und Kunststoffindustrie. Seine Expertise ist bei namhaften Unternehmen gefragt, Studierende aus aller Welt kommen nach Hannover, um am Institut zu promovieren. Damit ist die Vision der Gründer, zu denen auch der Arbeitgeberverband ADK gehört, in Erfüllung gegangen. Doch von dieser glänzenden Zukunft war zu Beginn von Heiers Karriere noch wenig zu spüren.

Von Bruchbuden zu Forschungslaboren

Damals wurde ein heruntergekommenes Areal in Hannover-Seelhorst zur Heimat der jungen Forschungseinrichtung. Zuvor war das Gelände von der Prospektionsfirma Prakla-Seismos, die auf die Erkundung und Untersuchung von Bodenschätzen spezialisiert war, als einfaches Lager genutzt worden.

Das DIK entwickelte sich über die Jahre von der zugigen Baracke zum anerkannten Forschungszentrum. Foto: DIK

Das DIK entwickelte sich über die Jahre von der zugigen Baracke zum anerkannten Forschungszentrum. Foto: DIK

„Der Zustand der Gebäude war furchtbar“, erinnert sich Heier. „Wenn es geregnet hat, wurde man in der Halle fast nasser als draußen. Ab und zu mussten wir sogar eine Ratte erschlagen.“ Kopfzerbrechen bereitete auch die Technik-Ausstattung: In der riesigen Halle standen drei Maschinen, darunter eine Zehn-Tonnen-Zugmaschine. Damit konnten die Mitarbeiter aber zunächst nichts anfangen, weil passendes Material fehlte. „Die Konzeption des Instituts war zu Beginn etwas seltsam“, sagt Heier und lacht.

Doch davon ließen sich die damals sieben Mitarbeitenden nicht abschrecken. Schon nach einem halben Jahr hatten sich die Zustände deutlich verbessert; nach und nach kamen Maschinen, die zu den Forschungen passten. Und nach diversen An- und Umbauten strahlte das DIK im Lauf der Jahre immer mehr das aus, was es im Inneren längst war: eine moderne Forschungseinrichtung ohne Denkverbote.

Heutzutage ist das DIK eine weltweit anerkannte Forschungseinrichtung. Foto: DIK

Heutzutage ist das DIK eine weltweit anerkannte Forschungseinrichtung. Foto: DIK

Seit seinem Dienstantritt arbeitet Heier in der physikalischen Abteilung für Werkstoffprüfung und Materialentwicklung. Zu seinen Aufgaben gehört es, Neuentwicklungen aus dem eigenen Haus zu testen, aber auch, Werkstoffe und Bauteile im Kundenauftrag zu prüfen oder zu reparieren. Auf einem der Labortische liegt zum Beispiel gerade ein Stück einer Gummidämpfung, wie sie in Eisenbahnschienen eingebaut wird, um die Vibrationen der Züge zu dämpfen. Mit einer Spezialmaschine schält Heier millimeterdünne Scheiben von dem Gummistück ab, um sie anschließend verschiedenen Tests zu unterziehen. Er untersucht unter anderem die Zugfestigkeit oder die Haltbarkeit des Materials unter bestimmten Umwelteinflüssen wie Kälte oder UV-Strahlung. „Dabei gehen wir nicht nach einem festen Schema vor“, erklärt Heier. „Wir schauen uns das Bauteil an und überlegen, was daran getestet werden muss.“

Ein Alleskönner – und ein Original

Manchmal hilft er auch Kollegen in anderen Abteilungen: „Ich kann auch mischen, vulkanisieren, einen Dampfkessel bedienen – und sogar Gabelstapler fahren.“ Schmunzelnd fügt er hinzu: „Mein Chef sagt immer, ich bin wie ein Schweizer Taschenmesser. Für alles zu gebrauchen.“

Heute forschen rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am DIK, die meisten von ihnen sind Studierende. Fast alle haben sich auf ein Fachgebiet spezialisiert. Heiers breites Wissen stammt aus der Zeit, als sie hier nur zu siebt waren und auch in fachfremden Gebieten mit anpacken mussten. Er erinnert sich noch gut daran, wie erstaunt er war, als der Mischmeister ihn damals in die Gummiherstellung einführte: „Die schmeißen einfach irgendwelche Zutaten zusammen, formen und vulkanisieren die Masse, und dann fährt man mit dem Ergebnis mit 200 Kilometern pro Stunde über die Autobahn. Verrückt, dass so etwas möglich ist.“

Das Interesse an technischen Wunderwerken pflegt Joachim Heier auch privat. Der 62-Jährige ist Dampflok-Fan und engagiert sich in der Interessengemeinschaft Harzer Schmalspurbahnen. Alle zwei Wochen fährt er nach Wernigerode, um mit Gleichgesinnten die historischen Züge zu warten oder das Zugpersonal auf seinen Fahrten rund um den Brocken, im Volksmund auch Blocksberg genannt, zu begleiten. Schon zu seinem 40. Geburtstag bekam er ein besonderes Geschenk: Er wurde zum Ehrenlokführer der beliebten Touristenattraktion ernannt.

Egal ob alt oder neu: Das Interesse an technischen Wunderwerken lässt Heier selbst nach 40 Berufsjahren nicht los. Foto: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Egal ob alt oder neu: Das Interesse an technischen Wunderwerken lässt Heier selbst nach 40 Berufsjahren nicht los. Foto: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Aber auch modernere Technik hat es dem Ur-DIKler angetan. Respekt hat er etwa vor der Arbeit der „Simulanten“, wie er sie liebevoll nennt. Das sind Kollegen, die am Computer die Eigenschaften von Gummimischungen realitätsnah erforschen können. Neuerdings ist Heier auch ein Freund des 3-D-Drucks. „Bisher habe ich das immer als Spielerei abgetan“, räumt er ein. Doch kürzlich ging die Motorkupplung einer Maschine kaputt, die fast so alt ist wie das DIK. „Ersatzteile gibt es für diese Anlage schon lange nicht mehr. Aber weil wir Forscher immer erfinderisch sind, haben die Kollegen einfach eine neue Kupplung gedruckt. Gepasst hat die auf Anhieb.“

Und wieder sieht man das vergnügte Funkeln in Heiers Augen, als er von dem gelungenen Experiment erzählt. Tüfteln, basteln und friemeln – das macht Heier nun seit 40 Jahren, und das wird ihn wohl nie loslassen.

DIK – die Fakten

Das Deutsche Institut für Kautschuktechnologie (DIK) ist eine weltweit anerkannte Forschungseinrichtung. 1981 wurde sie auf Initiative der deutschen Kautschukindustrie, einschließlich des Arbeitgeberverbands der Deutschen Kautschukindustrie (ADK), ins Leben gerufen. Seit 1984 konzentriert sich das DIK auf die Forschung in den Gebieten Verarbeitungstechnik, Elastomerchemie und -physik. Zudem bietet das Institut praxisnahe Weiterbildungen an und bildet Kautschukexpertinnen und -experten auf Hochschul-Niveau aus.

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