Chefgespräche

Mit der Seele bei der Sache

Jungen Menschen fehlt oft der berufliche Kompass. Ausbildungsleiterin Sina von Eynern erklärt, wie bei Continental jeder seinen Weg findet und Karrieren geformt werden

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Stets im Gespräch: Ausbildungsleiterin Sina von Eynern (links) ist der persönliche Kontakt zu den Auszubildenden sehr wichtig. Foto: Fotografie Eva-Maria Schmidt

Korbach. Blumen, bequeme Sessel neben dem Schreibtisch, geschmackvolle Bilder – Besucher erkennen sofort: Sina von Eynern, Ausbildungsleiterin der Continental Reifen Deutschland GmbH in Korbach, legt Wert auf eine entspannte Büroatmosphäre. Auf dem Tisch liegt der „Spiegel“-Bestseller „The Big Five for Life – Was wirklich zählt im Leben“. Ein guter Einstieg für ein Chefgespräch.

Frau von Eynern, in dem Buch „The Big Five for Live“ geht es darum, dass jeder Mensch seine Berufung kennen sollte, also seine fünf Ziele im Leben. Liegt es zufällig auf Ihrem Schreibtisch, oder hilft es Ihnen auch im Alltag?

Von Eynern: Ja, es hilft mir auf jeden Fall. Jeder sollte seine fünf Ziele im Leben kennen. Ich habe Wirtschaftspädagogik studiert und finde es total spannend, mit jungen Leuten daran zu arbeiten.

Aber können Azubis, die im Schnitt zwischen 16 und 20 Jahre alt sind, überhaupt schon wissen, welche Ziele sie im Leben erreichen wollen?

Von Eynern: Das ist alles eine Frage der Perspektive. Wir können auf jeden Fall helfen, diese Ziele zu schärfen, ihnen Halt und Orientierung zu geben. Immer mehr junge Menschen wissen nicht, wohin ihr beruflicher Weg sie führen wird. Das hat stark zugenommen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, den jungen Frauen und Männern wichtige Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Also eine Art Basisfundament. Darauf können sie später aufbauen. Es ist uns wichtig, sie nicht nur zu fachlich guten Nachwuchskräften auszubilden. Persönlichkeit und Soft Skills sind für eine erfolgreiche Karriere genauso wichtig. Wir wollen die Auszubildenden abholen, ihnen zeigen, welche Werte hier gelebt werden.

Kurz nachgefragt: Der angehende Elektroniker für Betriebstechnik Julian Riedel (rechts) mit Ausbilder Marcus Göbel. Foto: Fotografie Eva-Maria Schmidt

Kurz nachgefragt: Der angehende Elektroniker für Betriebstechnik Julian Riedel (rechts) mit Ausbilder Marcus Göbel. Foto: Fotografie Eva-Maria Schmidt

Was ist für Sie die wichtigste Botschaft, die Sie mitgeben wollen?

Von Eynern: Oh, da gibt es viele. Zum Beispiel, dass man im Berufsleben nie aufhören darf zu lernen – viele fassen das unter dem Stichwort lebenslanges Lernen zusammen. Neben dem Fachwissen, das in Prüfungen abgefragt wird, sind es vor allem viele sogenannte weiche Faktoren. Zum Beispiel Neugier und soziales Miteinander. Natürlich ist es wichtig, dass die jungen Frauen und Männer, die bei uns eine gewerbliche Ausbildung absolvieren, auch mathematische, technische und chemische Grundkenntnisse beherrschen. Immer wichtiger wird aber auch die soziale Kompetenz. Unser Arbeitsklima ist geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und schafft Freiräume für Eigenverantwortung.

Wie stellen Sie das an?

Von Eynern: Wir haben verschiedene Projekte, zum Beispiel unser Outdoor-Seminar. Da wird unter anderem ein Floß gebaut, um die Teamfähigkeit zu stärken. Die Teilnehmenden trainieren, wie sie als Gruppe zusammenhalten und wie sie als Team ihre Kräfte übergreifend bündeln können. Wir legen Wert darauf, eine Kultur des Vertrauens zu schaffen. Wir wollen den ganzen Menschen sehen, nicht nur die Noten. Was nützt uns eine gute Note, wenn man nicht im Team arbeiten kann oder am Telefon kein „Guten Tag“ herausbekommt?

Multikulturalität ist in der Kautschukindustrie seit Jahrzehnten Normalität. Wie wird sie bei Ihnen gelebt?

Von Eynern: Bei uns am Standort Korbach arbeiten Menschen aus 61 Nationen. Ihre Herkunft spielt dabei keine Rolle. Vielfalt und interkulturelle Zusammenarbeit werden bei uns großgeschrieben. Hass und Hetze haben bei uns keinen Platz. Hier würden wir klar Stellung beziehen. Derzeit erarbeiten wir ein Workshop-Konzept, um den Werten der Demokratie Raum zu geben. Wir nehmen unsere Verantwortung als großer Arbeitgeber sehr ernst.

Zurück zur Jugend. Die Zeiten, in denen junge Menschen vor allem arbeiteten, um Geld zu verdienen, sind vorbei. Für viele lautet das oberste Ziel: Arbeiten, um sich selbst zu verwirklichen.

Von Eynern: Es ist unglaublich wichtig, auch in der Arbeit erfüllt zu sein. Hier bei Conti arbeiten viele Familienmitglieder schon seit Generationen. Junge Leute bewerben sich oft bei uns um einen Ausbildungsplatz, weil schon ihre Eltern und Großeltern hier gearbeitet haben. Viel zu selten fragen sie sich: Hey, was will ich denn? Ich finde, die Frage nach dem Warum sollten sich auch junge Leute immer wieder stellen. Kürzlich wollte eine junge Frau ihre Ausbildung abbrechen, weil sie sich in ihrem Beruf nicht wohlfühlte. Im gemeinsamen Gespräch haben wir herausgefunden, dass eine andere berufliche Richtung besser zu ihr passt. Wenn es uns gelingt, jungen Menschen neue Perspektiven zu eröffnen, erhöhen wir die Chance, dass sie uns als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verloren gehen. Unser Ziel ist es, dass unsere 150 Auszubildenden erkennen, dass sie ihre beruflichen Ziele bei Conti erreichen können.

Richtig entschieden: Azubi Riedel hat seinen Platz in der Berufswelt gefunden. Foto: Fotografie Eva-Maria Schmidt

Richtig entschieden: Azubi Riedel hat seinen Platz in der Berufswelt gefunden. Foto: Fotografie Eva-Maria Schmidt

Wie schaffen Sie es, Ihre Ausbilderinnen und Ausbilder entsprechend zu sensibilisieren?

Von Eynern: Unsere Ausbildungsabteilung besteht aus einem zehnköpfigen Ausbilderteam. Gemeinsam machen wir Strategie-Workshops und stellen uns die Frage: Wie tickt die heutige Generation? Wir lernen dann sehr schnell, dass wir vor allem das Zuhören trainieren müssen. Wir brauchen Geduld, um zu verstehen, was sie sagen.

Welche Themen beschäftigen die jungen Leute?

Von Eynern: Wir leben in sehr unsicheren Zeit und sehen, dass junge Erwachsene viele Themen beschäftigen. Angriffskrieg in der Ukraine, Klimawandel, die sozialen Medien – es gibt unglaublich viele Einflussfaktoren, die Unsicherheit erzeugen. Unsere Aufgabe ist es, den Jugendlichen Leitplanken aufzuzeigen. Das Gefühl von Sicherheit ist für sie sehr wichtig.

Und spüren Sie, dass auch Corona Spuren hinterlassen hat?

Von Eynern: Auf jeden Fall, das merkt man. Statt mit Freunden in der Schule zu lernen, hat Corona sie zu Hause isoliert. Das hat tiefe Spuren hinterlassen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir Ausbilder aktiv daran arbeiten, nicht nur die durch Corona entstandenen Bildungslücken zu schließen, sondern auch die sozialen und emotionalen Kompetenzen zu fördern.

Continental am Standort Korbach - die Fakten

Im hessischen Korbach produziert der Automobilzulieferer Continental Reifen für Pkws und als einziges Werk in Deutschland auch für Zweiräder. Außerdem werden dort Kautschuke für Anwendungen wie Industrieschläuche hergestellt. Derzeit sind am Standort etwa 3.300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Ab September dieses Jahres werden zudem 156 neue Auszubildende das Unternehmen verstärken.

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