Chefgespräche
Gummi mit gutem Gewissen
Industrie im (Klima-)Wandel: CO2-Einsparung, Recycling, alternative Rohstoffe – ContiTech-Werkleiter Thomas Haase erklärt, warum Nachhaltigkeit die Zukunft der Kautschukherstellung bestimmt
von Maja Becker-Mohr

Waltershausen. Die Gummi-Industrie hat in der Region Gotha eine über 200-jährige Tradition. Ein wichtiger Teil davon ist der ContiTech-Standort in Waltershausen. Hier werden nicht nur Halbzeuge, sondern auch Fertigprodukte für Kunden in ganz Europa hergestellt. Seit Anfang des Jahres ist der Maschinenbauingenieur Thomas Haase für das gesamte Werk verantwortlich, nachdem er zuvor bereits den Bereich Compounding geleitet hat. Mit KAUTSCHUK spricht er über Nachhaltigkeit und die zukünftige Ausrichtung des Standorts.
Herr Haase, was ist das Besondere an dem Werk, für das Sie verantwortlich sind?
Haase: Wir stellen hier nach modernsten Standards rund 6.000 verschiedene Kautschukmischungen her, im Schnitt etwa 300 Rezepturen pro Monat. Sie dienen als Ausgangsmaterial für zahlreiche Industrieprodukte. Neben Kautschuk und Ruß sorgen vor allem Additive für die gewünschten Eigenschaften wie Elastizität, Hitzebeständigkeit oder Abriebfestigkeit. Unsere Kunden erhalten nicht nur „Qualität made in Germany“, sondern zunehmend auch das Prädikat „nachhaltig“.
Was bedeutet, sie bekommen „nachhaltig“ dazu?
Haase: Wir sind die ersten in der Branche, die gemeinsam mit unserem Schwesterwerk in Eislingen, wo Kunststoffprodukte gefertigt werden, die Nachhaltigkeitszertifizierung ISCC PLUS erhalten haben. Diese international anerkannte Zertifizierung bescheinigt uns eine transparente Massenbilanzierung der Rohstoffe und ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wertschöpfungskette.
Wie funktioniert die Massenbilanzierung?
Haase: Die Massenbilanzierung ist ein anerkanntes Prinzip, bei dem biobasierte und recycelte Rohstoffe in bestehende Produktionsprozesse eingebunden werden, ohne die Produktionsabläufe grundlegend zu verändern. Jeder eingesetzte nachhaltige Rohstoff wird genau erfasst und bilanziert, sodass sein Anteil im Endprodukt exakt berechnet werden kann.
Was sind die Vorteile?
Haase: Das kann viele Vorteile haben, zum Beispiel einen geringeren CO2-Fußabdruck des Produkts über den gesamten Lebenszyklus oder einen reduzierten Verbrauch fossiler Rohstoffe. Zudem können wir durch nachhaltige Materialien gezielt auf die wachsenden Anforderungen unserer Kunden in puncto Umweltverträglichkeit reagieren.
Warum ist der ökologische Wandel für ContiTech und die Kautschukindustrie so wichtig?
Haase: 70 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen aus der Energieerzeugung, der Landwirtschaft und der Industrie. Als Zulieferer dieser Branchen tragen wir eine besondere Verantwortung. Wir wollen unseren Beitrag zum Klimaschutz leisten, indem wir klimarelevante Ziele erreichen und natürliche Ressourcen schonen. Unser Anspruch ist eine zu 100 Prozent CO2-neutrale Wertschöpfungskette bis spätestens 2050. Dabei nehmen wir nicht nur unsere Lieferanten, sondern auch uns selbst in die Pflicht. Hierzu ein Beispiel aus unserem Werk: Standardmäßig wird Kautschuk bei 20 Grad gelagert, um ihn gut verarbeiten zu können. Durch Tests haben wir herausgefunden, dass auch 19 Grad ausreichen. Das spart eine Menge Energie und reduziert den CO2-Fußabdruck.
Welche Rolle spielt die Kreislaufwirtschaft in diesem Kontext?
Haase: Wir reduzieren Abfälle und steigern die Ressourceneffizienz, indem wir Materialverluste sowie Wasser- und Energieverschwendung vermeiden. Kreislaufwirtschaft erfordert ein Umdenken: Es gibt keinen Abfall, sondern nur Rohstoffe am falschen Ort. Deshalb suchen wir aktiv nach Abnehmern für unsere Nebenprodukte. Ein Beispiel: Geschredderte Gummireste verbessern als Bestandteil von Flüsterasphalt die Dämpfungseigenschaften von Straßenbelägen. Mit solchen Lösungen schließen wir Stoffkreisläufe und nutzen Ressourcen gezielt weiter.
Wird Nachhaltigkeit zum Jobmotor für die Industrie?
Haase: Die gestiegenen Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Industrieprodukten führen dazu, dass wir mehr forschen, entwickeln, einfach umdenken müssen. Das bedeutet viel Arbeit und schafft neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze. Als Technologieunternehmen sind wir ständig auf den Zustrom neuer junger Talente angewiesen. Jede Generation bringt neue Perspektiven und Ideen mit, aber viele junge Talente eint der Wunsch, dass sich ihre Arbeit positiv auf die Umwelt auswirkt.
Ist Nachhaltigkeit also auch ein Wettbewerbsvorteil?
Haase: Auf jeden Fall. Nachhaltigkeit ist eine Lizenz zum Handeln und eine Chance, sich vom Wettbewerb abzuheben. Sie erfordert ein ganzheitliches Geschäftsmodell. Der Vorteil liegt in zirkulären Lösungen, die wir gemeinsam mit Kunden und Lieferanten entwickeln – statt linearer Stoffströme, bei denen Produkte am Ende ihres Lebenszyklus einfach entsorgt werden.
Wie steht Thomas Haase als Privatmann zur Nachhaltigkeit?
Haase: Im Kleinen wie im Großen — jeder kann seinen Beitrag für die Umwelt und die Zukunft unseres Planeten leisten. Ich habe drei Kinder und sehe, wie wichtig ihnen das Thema ist. Das motiviert mich, privat und im Job nachhaltige Entscheidungen zu treffen. Als Werkleiter habe ich die Möglichkeit, etwas zu bewegen, und das treibt mich an.
ContiTech Compounding – die Fakten
ContiTech Compounding im Industriepark Waltershausen in Thüringen produziert Kautschukhalbzeuge, die weltweit in den unterschiedlichsten industriellen Anwendungen zum Einsatz kommen. Sie werden unter anderem zu Reifen, Förderbändern und vielem mehr weiterverarbeitet. Am Standort sind rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.