Chefgespräche
„Bürokratie ist ein schleichendes Gift“
17 Mitarbeiter allein für Papierkram: Aufwendige Dokumentationspflichten sind für Mittelständler eine teure Belastung. Andreas Röders, Geschäftsführer der G. A. Röders GmbH & Co. KG, erklärt, wie viel Arbeit sie machen
von Werner Fricke
Soltau. Im Werk der G. A. Röders GmbH & Co. KG in Soltau, zwischen autonomen Robotern und stilvollen Loungemöbeln, spricht Geschäftsführer Andreas Röders im KAUTSCHUK-Interview über die zunehmende Regelungsflut für den deutschen Mittelstand. Das tief in der Lüneburger Heide verwurzelte Druck- und Spritzgussunternehmen steht exemplarisch für die Herausforderungen, mit denen viele Familienbetriebe zu kämpfen haben.
Herr Röders, Ihre Fabrik in Soltau galt bei der Einweihung vor sieben Jahren als Meilenstein der Innovation – entwickelt ohne externe Berater. Vor welchen Herausforderungen stehen Sie heute?
Röders: Wir sind nach wie vor stolz darauf, dass wir dieses Werk gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden entwickelt haben. Damals herrschte Aufbruchstimmung und wir haben massiv in Automatisierung und Robotertechnologie investiert, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Doch inzwischen spüren wir deutlich, wie uns die Bürokratie ausbremst – und darunter leidet auch die Motivation. Statt unsere Anlagen weiterzuentwickeln, verlieren wir uns zunehmend in Vorschriften und Nachweispflichten.
Welche Auflagen machen Ihnen das Leben besonders schwer?
Röders: Da gibt es eine ganze Reihe. Ein Paradebeispiel für überbordende Bürokratie ist die EU-Maschinenrichtlinie. Sie schreibt vor, dass selbst bei zertifizierten Anlagen jede Änderung neue Nachweise erfordert, um die Sicherheit erneut zu bestätigen. Jede noch so kleine Modifikation zieht also einen Rattenschwanz an Dokumentationsarbeit nach sich. Das ist doch verrückt und kostet Zeit und Geld. Ressourcen, die wir lieber in Innovationen stecken würden.
Die Bundesregierung wollte mit dem Bürokratieentlastungsgesetz Verbesserungen schaffen. Spüren Sie davon etwas?
Röders: Ehrlich gesagt, nicht wirklich. Nehmen wir die Verkürzung der Aufbewahrungsfristen für Steuerunterlagen als Beispiel. Das mag sich auf dem Papier gut anhören, aber in der Praxis hat das für digitalisierte Unternehmen wie unseres kaum Auswirkungen. Das ist kein echter Bürokratieabbau, sondern reine Kosmetik.
Ihr Unternehmen befindet sich auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Für Ihre Druckguss-Sparte wurde der erste wasserstoffbetriebene Tiegelschmelzofen entwickelt. Wie lief dieses Projekt?
Röders: Die technische Umsetzung ist uns gelungen. Gemeinsam mit der TU Braunschweig haben wir den Wasserstoff-Ofen entwickelt, um klimafreundlicher zu produzieren. Doch am Ende mussten wir abbrechen. Der bürokratische Aufwand war enorm: Die Sicherheitsauflagen waren so kompliziert, dass die Umsetzung ein kaum kalkulierbares unternehmerisches Risiko darstellte. Hinzu kam die aufwendige Logistik. Es wäre extrem schwierig geworden, den benötigten Wasserstoff überhaupt ins Werk zu bekommen. Das sind die Stolpersteine, die Projekte wie dieses verhindern, obwohl es ein wichtiger Schritt in Richtung Nachhaltigkeit wäre.
Angesichts der vielen bürokratischen Hürden: Wie hoch ist der Verwaltungsaufwand in Ihrem Betrieb?
Röders: Mittlerweile beschäftigen wir 17 Beauftragte, die sich allein um die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen kümmern. Das ist enorm, wenn man bedenkt, dass wir als mittelständisches Unternehmen rund 170 Mitarbeitende haben. Dabei wollen wir nur hochwertige Teile für anspruchsvolle Branchen produzieren. Stattdessen werden wir zu Bürokraten im eigenen Unternehmen. Erst heute hat mir unsere Nachhaltigkeitsbeauftragte, die eigentlich unsere Ausbildungsleiterin ist, erzählt, dass sie Stunden damit verbracht hat, über 70 Datenpunkte zu erfassen und zu dokumentieren. Dabei könnte sie diese Zeit viel besser in Projekte mit unseren Auszubildenden investieren.
Viele Unternehmer beklagen den oft kostspieligen Bürokratiewahnsinn. Wie sind Ihre Erfahrungen?
Röders: Dem kann ich mich nur anschließen. Die unterschiedlichen Dokumentationspflichten haben häufig teure Folgen. Dazu ein konkretes Beispiel: Während der Coronakrise hat das Finanzamt eine Prüfung der Verrechnungspreise mit unserer tschechischen Tochtergesellschaft angesetzt. Die Vorbereitung auf diese Prüfung verursachte allein bei unserem Steuerberater Kosten in Höhe von 80.000 Euro. Hinzu kamen der immense interne Aufwand sowie zahllose Wochenenden, die ich geopfert habe, um die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen. Am Ende umfasste der Bericht unglaubliche 500 Seiten – und das mitten in der Coronakrise. Das empfanden wir als besonders belastend und absurd.
Ihr Unternehmen wird bereits in der sechsten Generation geführt und die nächste Übergabe steht an. Gibt es da Probleme?
Röders: Ein großes Problem ist die Erbschaftsteuer. Sie ist für viele Familienbetriebe eine echte Bedrohung. Auch für unser über 200 Jahre altes Unternehmen, das bald in die siebte Generation übergeht, könnte die Steuerlast den Übergang erheblich erschweren. Deutschland greift bei der Vererbung von Betriebsvermögen deutlich stärker zu als andere Staaten. Das ist kein nachhaltiges Wirtschaften mehr, sondern verzerrt den Wettbewerb und ist eine Gefahr für den deutschen Mittelstand. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es hierzulande ein übertriebenes Bedürfnis gibt, alles zu regeln und jedem zu misstrauen.
Sie stehen regelmäßig im Austausch mit der Politik. Führt das zu den konkreten Entlastungen, die Sie fordern?
Röders: Wir stehen regelmäßig im Austausch mit Politikern. Mein Vetter vertritt unsere Branche im Fachverband und führt Gespräche mit politischen Vertretern in Brüssel. Wir haben auch immer wieder Besuch von SPD-Chef Lars Klingbeil, der aus der Region stammt und unsere Probleme kennt. Doch was wir brauchen, sind keine warmen Worte, sondern konkrete Entlastungen. Der Bürokratieabbau darf kein leeres Versprechen bleiben.
Welche zentrale Botschaft würden Sie der Politik gerne ans Herz legen?
Röders: Bürokratie ist ein schleichendes Gift, das den Mittelstand lähmt. Wenn sich nicht bald etwas ändert, könnten viele Betriebe, die über Jahrzehnte erfolgreich waren, am Papierkrieg scheitern. Wir brauchen mutige Reformen – und zwar dringend.
G. A. Röders GmbH – die Fakten
Der über 200 Jahre alte Familienbetrieb G. A. Röders mit Sitz in Soltau wurde 1814 gegründet und wird heute in der sechsten Generation von Andreas und Gerd Röders geführt. Seit 1923 werden Teile aus Zink, seit 1933 aus Aluminium und seit 1936 auch aus Kunststoff hergestellt. Mit 172 Mitarbeitenden, darunter 17 Auszubildende, ist das Unternehmen auf Druck- und Spritzguss spezialisiert und fertigt Präzisionsteile für Branchen wie die Automobil- und Luftfahrtindustrie sowie die Medizintechnik.