Chefgespräche

KI mischt Kautschuk auf

Von der Buchhaltung bis zur Produktion: Der IT-Experte Carsten Wagner von deepIng business solutions erklärt, wie die Technologie unsere Kautschukbetriebe von Grund auf verändert

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Stets vor Ort: KI-Experte Carsten Wagner (rechts) lässt sich von einem Facharbeiter spezifische Arbeitsabläufe erklären. Foto: KAUTSCHUK/Chris Gossmann

Hannover. KI in der Kautschukindustrie – das ist kein Zukunftsszenario mehr. Sie treibt auch die Kautschukfirmen immer mehr an. Ob in der IT, in der Buchhaltung oder im Marketing: Von Jahr zu Jahr verändert sich der Betriebsalltag in einem atemberaubenden Tempo. Veränderungsprozesse in den Unternehmen geschehen inzwischen mit einer nie gelebten Dynamik. Wie können mittelständische Unternehmen die KI nutzen? Das Chefgespräch führte KAUTSCHUK mit Professor Carsten Wagner, Geschäftsführer des Software-Unternehmens deepIng business solutions GmbH in Hannover.

Herr Wagner, es ist schön, dass Sie es persönlich sind und ich nicht mit einer KI sprechen muss.

Wagner: (lacht)

Haben Sie heute schon mit ChatGPT gearbeitet?

Wagner: Ich arbeite regelmäßig mit ChatGPT, heute allerdings noch nicht. Und ehrlich gesagt ist mir der persönliche Kontakt auch viel lieber.

Apropos persönlich: In unserer Rubrik Chefgespräch kommen in der Regel leitende Mitarbeitende aus der Kautschukindustrie zu Wort. Wie nah sind Sie der Gummibranche? Was tut sich da in Sachen KI?

Wagner: Wir sind in enger Partnerschaft mit der Kautschukindustrie, mit Verbänden und inzwischen auch mit immer mehr Firmen. Ich selbst habe einige Jahre nach dem Studium unter anderem in der Branche gearbeitet und weiß daher sehr genau, wie eine Spritzgussmaschine aussieht. Und ich liebe es, mit dem Mittelstand zu arbeiten, vor allem mit den Eigentümern der Firmen.

Warum gerade Mittelstand? Wo ist der Unterschied zum Konzern?

Wagner: Mittelständler denken strategischer. In vielen Konzernen geht es eher darum, ein vorhandenes Budget auszuschöpfen und oft nur ein digitales Experiment durchzuführen. Der Mittelstand will keine Lösungen von der Stange, sondern maßgeschneiderte Anwendungen für individuelle Einsatzzwecke.

                       

Was sind aus Ihrer Sicht die großen Herausforderungen für unsere Branche?

Wagner: Die Branche ist extrem spannend und entwickelt sich dynamisch. Die entscheidende Veränderung ist, dass sich nicht mehr nur die IT-Spezialisten in den Unternehmen mit KI beschäftigen. Vielmehr öffnen sich immer mehr Berufsgruppen, von der Buchhaltung über das Marketing bis hin zum Servicetechniker, für die Thematik. Hinzu kommt, dass die Anwendungen immer benutzerfreundlicher werden.

Wie reagieren die Firmen auf diese Entwicklung?

Wagner: Noch vor einigen Jahren hat das Thema niemanden groß interessiert. Bei Veranstaltungen war die Resonanz ziemlich schwach. Das hat sich geändert. Inzwischen reißen die Fragen nach meinen Vorträgen nicht mehr ab: Wo bekomme ich die Anwendung her? Was passt zu meinem Betrieb? Wie hoch sind die Kosten? Und so weiter. Es wird diskutiert, denn längst haben auch kleinere Unternehmen erkannt, dass KI viele Chancen bietet. KI ist kein Selbstzweck oder das Hobby von IT-Freaks, sondern ein Werkzeug, um den Geschäftserfolg zu verbessern, manchmal sogar echte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Das sehen inzwischen auch immer mehr Kautschukunternehmen so.

Wie kann man sich das beispielhaft vorstellen?

Wagner: Vor wenigen Jahren auf der Hannover Messe sprachen alle von vernetzten Robotern und nannten das Industrie 4.0. Heute nennen das viele KI. Vor der Krise, ich meine die Zeitspanne zwischen 2011 und 2018, da gab es keine dramatischen Entwicklungssprünge beim Umsatz pro Mitarbeitenden. Heute ist und bleibt die Steigerung der Produktivität die unternehmerische Kernaufgabe. Und dabei wird KI einer der Schlüsselfaktoren sein, um Skalierbarkeit und Produktivität zu steigern.

Lösung in Aussicht: Wagner im Austausch mit Hermann Strathmann, Geschäftsführer der UHE Feinmechanik. Foto: KAUTSCHUK/Chris Gossmann

Lösung in Aussicht: Wagner im Austausch mit Hermann Strathmann, Geschäftsführer der UHE Feinmechanik. Foto: KAUTSCHUK/Chris Gossmann

Wo im Unternehmen trifft das konkret zu?

Wagner: Nehmen wir einen digitalen Assistenten im Einkauf. Er sagt dem Einkäufer, welche und wie viele Teile er braucht. Der Assistent gibt einen Überblick und empfiehlt, sich die Teile genauer anzuschauen, er kann sie auch preislich vergleichen und kennt die Liefertreue des Herstellers. Der Einkäufer erfährt also viele Details und kann auf Basis dieser Informationen Entscheidungen treffen. Von Bedeutung ist natürlich, dass diese wichtigen Daten sicher sind.

Wohin geht die Entwicklung?

Wagner: Wir alle kennen die Szenarien aus den 70er Jahren, als die Zeitschrift „Der Spiegel“ fragte, ob Mengenlehre krank macht oder der Taschenrechner uns alle verdummt. Tatsache ist: Wenn wir die KI-Technik nicht nutzen, macht es der Wettbewerber. Wir kommen also nicht darum herum.

Was heißt das für die Mitarbeiter? Viele wollen doch nichts an ihren gewohnten Abläufen ändern – oder?

Wagner: Richtig, deshalb ist es wichtig, dass die Mitarbeiter mitgenommen werden und den Benefit erkennen. Sie dürfen den Prozess nicht bremsen. Im Gegenteil, sie sollten Teil des Prozesses sein. Der soziale Kontakt steht über allem. Mitnehmen statt ausgrenzen – das muss die Devise sein. Die einen sind von sich aus interessiert und wollen dabei sein, die anderen erkennen die vielen Vorteile von KI etwas später.

Also keine Angst vor KI?

Wagner: Eine positive Einstellung ist entscheidend. Ich kann der modernen Arbeit sehr viel Gutes abgewinnen. Was wünschen sich Arbeitnehmer heute? Arbeitsbedingungen mit hoher Flexibilität. KI hilft, als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Die Zeiten, in denen ein Mitarbeiter für einen kurzen Arztbesuch einen Urlaubstag einreichen muss, sind vorbei. Erreichbarkeit statt Anwesenheit heißt die Devise. Kreative Köpfe brauchen Freiräume und wollen sich weiterentwickeln. Und dafür ist die Digitalisierung im Allgemeinen und KI im Besonderen ein wichtiges Hilfsmittel.

deepIng business solutions GmbH – die Fakten

Gegründet im Jahr 2019 von Geschäftsführer Professor Dr.-Ing. Carsten Wagner, bietet deepIng Softwarelösungen und Beratung in den Bereichen Produktion, Logistik, Supply Chain Management, Digitalisierung und Innovationsmanagement speziell für mittelständische Unternehmen. Professor Wagner ist ein anerkannter Experte für digitale Transformation mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in der Technologie- und Beratungsbranche.

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