Chefgespräche
Wie funktioniert Führen als Familie?
Bei der Motzener Gummi- und Kunststoffverarbeitung sitzen Vater und Sohn in der Chefetage. Kann das gut gehen?
von Werner Fricke
Wer nach Brandenburg fährt, sollte in dem kleinen Ort Motzen Station machen. Hier findet man einen der saubersten und ruhigsten Seen des Landes – und ein liebevoll eingerichtetes Heimatmuseum. Darauf ist Thomas König (70) besonders stolz. Und deshalb hat sich der Unternehmer zum Vorsitzenden des Heimatvereins wählen lassen. In seinem Betrieb, der Motzenener Kunststoff- und Gummiverarbeitung GmbH, ist er nur noch, um einige kleinere Projekte umzusetzen. Das Unternehmen führt sein Sohn Matthias König (48) weiter. Zum Chef-Gespräch sitzen die beiden Schulter an Schulter im großen Besprechungsraum des Unternehmens.
Sie wirken beide sehr entspannt und scheinen sich gut verstehen. Von Krise keine Spur?
Matthias König: Ich komme gerade aus dem Skiurlaub. Vielleicht ist das der Grund. Dass wir uns gut verstehen, stimmt zweifellos. Aber natürlich spüren wir als Unternehmen die vielen Krisen – keine Frage. Energiekosten, Rohstoffknappheit und schwer zu haltende Preise machen auch uns schwer zu schaffen. Letztes Jahr wussten wir nicht, wie wir im neuen Jahr mit Energie versorgt werden.
Thomas König: Persönlich allerdings gibt es zwischen uns keine Krise. Ganz im Gegenteil. Wir haben anfangs viele Aufgaben gemeinsam gelöst, jetzt hat Matthias das Sagen. Er kennt das Unternehmen sehr gut und sehr lange.
Sie waren schon als Kind im Betrieb. Ist es ein Vorteil, so früh den Alltag im Betrieb kennenzulernen?
Matthias König: Ich bin mit dem Gummigeruch groß geworden. Irgendwie war das Werk schon immer Teil unserer Familie. Früher zu DDR-Zeiten, als es noch ein VEB, also ein Volkseigener Betrieb, war, habe ich hier während der Ferien gearbeitet. Auch mit der Schule waren wir hier. Und weil nicht nur mein Vater, sondern auch meine Mutter hier arbeiteten, habe ich als Kind immer gern vorbeigeschaut.
Es gibt in der Kautschukbranche den Satz „Gummi klebt“. Andere sagen auch „Einmal Gummi, immer Gummi“.
Thomas König: Da ist was dran. Wer in dieser Branche seinen Beruf beginnt, bleibt oft ein Leben lang oder kommt zurück.
„Irgendwie zog es mich zurück. Und diesen Schritt habe ich nie bereut“ - Matthias König
Matthias König: Das trifft ja auch auf mich zu. Ich war nach dem Studium zehn Jahre lang für einen Autozulieferer weltweit unterwegs, habe viel im Flugzeug gesessen. Aber irgendwie zog es mich zurück. Vor zwölf Jahren bin ich dann hier im Unternehmen eingestiegen. Hier habe ich zusammen mit meiner Frau ein Haus gebaut, hier ist unser Sohn zur Welt gekommen. Diesen Schritt habe ich nie bereut.
In Familien herrscht nicht immer eitel Sonnenschein. Gilt das nicht umso mehr, wenn Vater und Sohn ein Unternehmen leiten? Führen als Familie – geht das?
Thomas König: Das ist bei uns mit der Zeit gewachsen. Anfangs war Matthias im Projektmanagement und Vertrieb. Außerdem war zu Beginn noch ein zweiter geschäftsführender Gesellschafter im Unternehmen. Für uns beide war klar, dass man nicht zu spät die Verantwortung abgeben sollte. Da kenne ich genügend negative Beispiele. Und außerdem hatte ich schon immer vollstes Vertrauen in Matthiasʼ Arbeit – schon als Schüler. Ich kann gut loslassen und halte nichts von Sprüchen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“.
„Ich hatte immer vollstes Vertrauen in Matthiasʼ Arbeit – schon als Schüler“ - Thomas König
In der Fachwelt heißt es oft: Familienunternehmen zeichnen sich durch einen verantwortungsbewussten Führungsstil, durch langfristiges Denken und eine gute Arbeitsatmosphäre aus.
Matthias König: Das ist auch Teil unserer Firmenkultur. Der Teamgedanke hat unser Unternehmen schon immer stark geprägt. Hier ist niemand irgendeine Nummer. Wir wollen alle mitgestalten. Klar, am Ende muss ich entscheiden. Aber mitsprechen und Vorschläge einbringen – das dürfen bei uns alle.
Sie produzieren im Speckgürtel von Berlin. Tesla ist mit dem Auto nur eine gute halbe Stunde entfernt. Spüren Sie die Sogwirkung so namhafter Arbeitgeber?
Thomas König: Es ist ja nicht nur Tesla, auch der neue Berliner Flughafen sucht Mitarbeiter. Das Rennen um Fachkräfte betrifft unsere Region sehr stark.
Helfen Ihnen in diesem Wettbewerb die genannten Stärken eines Familienunternehmens?
Matthias König: Wir setzen durchaus auf unser besonderes Arbeitsklima. Die Coronakrise ist dafür ein gutes Beispiel. Als die Aufträge wegbrachen, haben wir uns im Management zusammengesetzt und gemeinsam entschieden, die Zeit zu nutzen, um attraktiver für Kunden und Mitarbeiter zu werden. Geplante Investitionen in Maschinenpark und Gebäude haben wir trotz der Umstände vorgenommen. Damit haben wir uns für die Zeit nach Corona komplett neu aufgestellt.
Thomas König: Zukunft ist ein gutes Stichwort. Uns ist es gelungen, einen Generationswechsel nicht nur an der Spitze, sondern auch in der Belegschaft hinzukriegen.
Wie gelingt das?
Matthias König: Wir wollen die große Erfahrung unbedingt im Betrieb halten und gleichzeitig jungen Mitarbeitern Chancen aufzeigen und Verantwortung geben. Wir haben auf allen Ebenen in den vergangenen fünf Jahren neue, deutlich jüngere Führungskräfte gewonnen. In diesem Transformationsprozess war uns wichtig, dass die alten Führungskräfte die neuen begleiten und ihr Wissen weitergeben. Das Durchschnittsalter ist dadurch deutlich gesunken. Wir haben alles offen kommuniziert und allen mitgeteilt, was wir warum tun.
Thomas König: Es gab dafür vollstes Verständnis. Ich bin ja nicht der einzige ältere Mitarbeiter, der noch engen Kontakt zur Firma hat. Viele bereits ausgeschiedene Mitarbeiter helfen noch immer, wenn sie gebraucht werden.
Wie stark beherrscht die Firma Ihr Familienleben, Ihren privaten Alltag? Drehen sich Ihre Gespräche auch beim Sonntagskaffee um Kautschuk?
Matthias König: Das lässt einen nie ganz los, ob abends oder am Wochenende.
Thomas König: Den schweren Rucksack vollgepackt mit Verantwortung bin ich jetzt zwar los, aber ich spüre ihn schon noch. Doch ich entspanne immer mehr, weil ich weiß, der Matthias macht es sehr gut.
Motzener – die Fakten
Die Motzener Kunststoff- und Gummiverarbeitung ist ein Komplettlösungspartner für Präzisionsbauteile aus Kunststoff. Zur Produktpalette zählen Baugruppen aus thermoplastischen Werkstoffen und Elastomeren sowie technische Spritzgussformteile. Das 65-Mitarbeiter-Unternehmen fertigt außerdem Verbundformteile aus Kunststoffen und Kautschuk.