Chefgespräche
Global lokal: Von Hannover in die Welt
Sebastian Jäger ist einer der drei geschäftsführenden Gesellschafter der Jäger Group. Im KAUTSCHUK-Interview spricht er über eine besondere Firmenstrategie, Kundenbeziehungen und die Vorteile eines Familienunternehmens
von Werner Fricke
Hannover. Die neue Firmenzentrale der Jäger Group kann sich sehen lassen. Schon von Weitem wird klar: Hier ist Großes entstanden. Ein modernes Gebäude, verkehrsgünstig gelegen. Drinnen macht die Architektur Lust, hier dabei zu sein: Voll verglaste Räume, loungeartige Areale, die Farbe Grün setzt Akzente. Überall sitzen Menschen in Teams zusammen, mal fünf oder sechs, mal zwei oder drei.
Herr Jäger, als Besucher ist man beeindruckt. Es muss Spaß machen, hier zu arbeiten.
Jäger: Vielen Dank. Alles zielt darauf ab, eine produktive Arbeitskultur zu schaffen. An das Open-Office-Konzept mussten wir uns allerdings alle erst einmal gewöhnen.
Womit beschäftigen sich Ihre Mitarbeiter?
Jäger: Gummi und Kunststoff sind unsere Leidenschaft, aber wir denken auch in Werkstoffalternativen wie Metall und beispielsweise Basalt sowie Kombinationen von allem. Wir sehen uns als Werkstoffspezialist und klassischen Zulieferer der deutschen Industrie, der Material-Know-how und Entwicklungskompetenz bietet. Wir sehen zuerst die Anwendung unserer Kunden und entwickeln und produzieren zum Beispiel Formteile, Profile, Schlauch- oder fördertechnische Systeme. Sie kommen unter anderem im Maschinenbau, Landmaschinen, Kläranlagen oder immer mehr auch in Windkraftanlagen zum Einsatz. Im deutschsprachigen Raum, den Niederlanden und Polen können wir jeden Kunden innerhalb von etwa einer Stunde anfahren.
Das alles sind spannende Stichworte. Welche Bedeutung haben Innovationen für Ihr Geschäft?
Jäger: Eine sehr hohe Bedeutung. Wenn es für unsere Kunden und uns nutzbringend und möglich ist, schützen wir unsere Innovationen durch Patente. Pro Jahr können das bis zu zehn sein. Wenn wir Kunden etwas zeigen, hat es sich bei uns möglichst schon auf Prüfständen oder im Feldeinsatz bewährt. Von der DNA her sind wir ein typisches deutsches Familienunternehmen, über 80 Jahre am Markt, bereits in der vierten Generation. Schon immer ging es uns um technische Lösungen und kaufmännisches Geschick. Auch in der nächsten Generation haben wir Maschinenbauer und Kaufleute. Ich bin da sehr optimistisch.
„Wir sind zwar global unterwegs, aber unser Herz schlägt in Deutschland” – Sebastian Jäger
Immer wieder wird der Standort Deutschland hart kritisiert und für viele infrage gestellt.
Jäger: Auch bei uns wachsen die Bäume nicht in den Himmel, und die Renditen sind überschaubar. Die Bürokratie und immer ungünstigere Rahmenbedingungen schwächen inzwischen unsere Gewinnchancen und saugen täglich Blut aus dem Unternehmen. Was ich allerdings nicht als Nachteil sehe, ist, dass wir in Deutschland starke, langjährige und sehr kompetente Marktbegleiter haben. Wir sind zwar global unterwegs, aber unser Herz schlägt in Deutschland. Wir sind Patrioten und bleiben hier. Und das aus gutem Grund. Ich sage es mal so: Wer es im Haifischteich Deutschland schafft, zu überleben, tut sich auch im Ausland leichter.
Was meinen Sie damit?
Jäger: Um in einem solchen Umfeld zu überleben, muss man einerseits Kostenführerschaft über alle Prozesse anstreben, andererseits einen echten Mehrwert für die Kunden bieten.
Mehrwert? Nennen Sie uns Beispiele.
Jäger: Das kann eine besondere Logistik- oder Entwicklungsdienstleistung sein. Oder dass wir einem Maschinenbauer Innovationen schaffen, die entweder seine Maschinen verbessern, seine Kosten im Einkauf senken oder am Ende die Kosten des Produkts während des gesamten Lebenszeitraums reduzieren. In Deutschland sind wir ständig diesem starken Innovations- und Preiswettbewerb ausgesetzt, haben hier aber Vorteile durch die große Nähe zum Kunden und oft eine schon langjährige persönliche Beziehung. Wir können unsere Kunden beraten, weil wir ihre Anwendungen im Detail verstehen. Wir sind also werkstoff- und technikgetrieben und müssen die Funktion unseres Teils in der Maschine voll verstehen.
Wie wirkt sich das auf Ihre ausländischen Märkte aus?
Jäger: Wir sagen immer: Wir sind global lokal. Nehmen wir zum Beispiel die USA und Kanada, wo wir schon seit 1968 vor Ort sind. Dort produzieren wir inzwischen an fünf Standorten mit über 200 Mitarbeitenden. Mit unserem in Deutschland erworbenen Wissen können wir hin und wieder einen Kostenvorteil haben.
Können Sie uns den konkreten Unterschied am Beispiel deutlich machen?
Jäger: Wir stellen uns auf die lokalen Gegebenheiten ein. Zum Beispiel in der Landtechnik: Ein Kartoffelroder in den USA unterscheidet sich deutlich von einem Kartoffelroder in Europa. In Nordamerika sind die Rodezeiten kürzer, die Kartoffeln größer, und deshalb unterscheidet sich die Erntetechnik. Darauf stellen wir uns mit unserer Fördertechnik ein.
Wie wichtig ist das Auslandsgeschäft für die Jäger Group?
Jäger: Inzwischen sehr wichtig, und es wird immer wichtiger. Unsere Auslandstöchter in den Niederlanden, Polen, den USA, Kanada, China und Indien haben einen hohen Anteil am Gesamtgeschäft. Man könnte sagen: Der Schwanz wackelt da immer mehr mit dem Hund.
Stichwort Nachhaltigkeit. Jeder spricht davon, viele verstehen etwas anderes darunter. Was verstehen Sie unter dem Begriff?
Jäger: Bei uns geht es darum, so schnell wie möglich unseren Impact auf unseren Planeten, der zweifellos durch unser Wirtschaften entsteht, auf ein unvermeidbares Minimum zu reduzieren. Es gilt, unseren Ressourcenverbrauch bei Material, Energie, Trinkwasser sowie Treibhausgasausstoß runterzubekommen und das zu messen. Es ist unser Ziel, dass Ende 2023 alle Werke weltweit ein zertifiziertes Energiemanagementsystem nach ISO 50001 haben. Unsere Tochter Artemis zum Beispiel hat den Energieeinsatz pro Kilogramm vulkanisiertem Gummi in den letzten zehn Jahren um weit mehr als 30 Prozent reduziert. Vor gut einem Jahr haben wir einen promovierten Umweltingenieur eingestellt. Er bringt den gesetzlich verankerten Transformationsprozess für all unsere Betriebe in Schwung. Außerdem stehen Eigenstromerzeugung und der Bezug von erneuerbarer Energie auf der Tagesordnung ganz oben.
Jäger Group – die Fakten
1942 von Arnold Jäger sen. gegründet, entwickelte sich der Betrieb zunächst zu einem führenden technischen Händler für Gummiwaren. Heute produziert und liefert die Jäger Group mit Stammsitz in Hannover Produkte und Systeme aus Gummi, Kunststoff, Metall und neuerdings auch Basalt auf drei Kontinenten. An weltweit 20 Standorten arbeiten die rund 1.200 Beschäftigten der Unternehmensgruppe für den Maschinen- und Anlagenbau sowie die Land-, Umwelt- und Energietechnik.