Chefgespräche

Einsparen ohne Kündigungen

Jan Stollenwerk, Personalchef der Woco-Gruppe, über die Vier-Tage-Woche, das Warum und die Hürden, die das Arbeitszeitmodell mit sich bringt

von Isabel Christian

· Lesezeit 6 Minuten.
Weniger Gehalt und kein Jobverlust: Personalchef Jan Stollenwerk setzte sich bei Woco für die Vier-Tage-Woche ein. Foto: Gerd Scheffler

Die Woco-Gruppe muss sparen. Aber statt Stellenabbau und Sozialplan hat sich das Unternehmen für ein innovatives Modell entschieden: Am Headquarter des Autozulieferers muss ein großer Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit Anfang April nur noch an vier Tagen in der Woche arbeiten. Doch die neue Regelung hat auch Schattenseiten, denn der freie Tag geht mit Gehaltseinbußen einher. Ein Gespräch mit Jan Stollenwerk, Personalchef der Woco-Gruppe.

Herr Stollenwerk, Woco hat zum 1. April am Headquarter die Vier-Tage-Woche eingeführt. Für wen gilt die neue Arbeitszeitregelung genau?

Die Vier-Tage-Woche gilt aktuell für alle Angestellten außerhalb der Produktion, also die Verwaltung sowie Teile der Forschung und Entwicklung. Das sind rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an unserem Hauptstandort in Bad Soden-Salmünster und Steinau. Ausgenommen von der Regelung sind die Produktion und produktionsnahe Bereiche sowie die Auszubildenden. Für Letztere wäre die Betreuung bei einer Vier-Tage-Woche einfach zu komplex.

Und weshalb gilt die Vier-Tage-Woche nicht auch für die Produktion?

Wenn wir tatsächlich bei diesem Arbeitszeitmodell bleiben sollten, ist es aus meiner persönlichen Sicht langfristig unser Ziel, die Vier-Tage-Woche auch auf die Produktion auszuweiten. Das ist aktuell aber nicht möglich. Unsere Produktion arbeitet im Drei-Schicht-System. Um das aufrechterhalten zu können, müssten wir unsere Personalkapazitäten deutlich ausweiten. Das ist in der Kürze der Zeit nicht umsetzbar.

Tüfteln an den Produkten von morgen: Janina Vogel und Marco Schmidt (hinten) arbeiten im Labor der Woco Group. Auch für sie gilt die neue Arbeitszeitregelung. Foto: Gerd Scheffler

Tüfteln an den Produkten von morgen: Janina Vogel und Marco Schmidt (hinten) arbeiten im Labor der Woco Group. Auch für sie gilt die neue Arbeitszeitregelung. Foto: Gerd Scheffler

Nun ist die Einführung der Vier-Tage-Woche auch kein Geschenk an die Work-Life-Balance der Mitarbeiter. Vielmehr sichert sie ihre Arbeitsplätze, denn die neue Regelung ist Teil eines Stabilisierungstarifvertrags. Woco muss erneut eine Restrukturierung durchlaufen und Kosten einsparen. Wie kam es dazu?

Es ist das Zusammentreffen mehrerer Faktoren, das unser Unternehmen an diesen Punkt geführt hat. Begonnen hat es mit der Transformation in der Automobilindustrie vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität. Wir machen den weitaus größten Teil unseres Umsatzes in der Autozulieferindustrie, und Bauteile für den Verbrennungsantrieb hatten bislang daran einen wesentlichen Anteil. Von Teilen dieser Produktgruppe haben wir uns bereits verabschiedet, und diesen Weg werden wir konsequent fortsetzen. Gleichzeitig arbeiten wir stetig an tragfähigen Innovationen für die Elektromobilität. Das ist uns bislang gut gelungen, sodass wir positiv in die Zukunft unseres Produktportfolios schauen können. Doch mitten in die Zeit des Umbruchs fielen Corona, die Halbleiter-Knappheit und der Krieg in der Ukraine. Auf den Autozulieferern liegt mittlerweile ein massiver Kostendruck, der uns kaum noch Spielraum lässt. Eine erfolgreiche Reorganisation unseres Portfolios erfordert also Einsparungen auf allen Seiten, im Einkauf genauso wie bei den Personalkosten.

Im Herbst 2022 sagten Sie zu Michael Lorig, CEO der Woco-Gruppe, dass Sie aber keine Lust mehr auf einen weiteren Sozialplan und Stellenabbau hätten.

Richtig. Stattdessen gab ich ihm einen Artikel über das Konzept der Vier-Tage-Woche, der kurz zuvor im „Handelsblatt“ gestanden hatte. Herr Lorig hatte den Text auch gelesen, und gemeinsam fingen wir an zu überlegen, wie wir die nötigen Einsparungen erreichen könnten, ohne Kündigungen aussprechen zu müssen.

Die Lösung sieht nun so aus, dass die Mitarbeitenden in den produktionsfernen Bereichen einen Tag weniger pro Woche arbeiten, dafür aber weniger Gehalt bekommen. Kann man schon einschätzen, wie wirksam dieses Modell ist?

Wir starten gerade erst mit der Umsetzung, deshalb kann ich zur Wirksamkeit des Modells in Hinsicht auf Leistung und Kapazitätsauslastung noch nichts sagen. Mit diesem Modell erreichen wir aber auf jeden Fall unsere Einsparziele. Und das, obwohl wir faktisch den Stundenlohn erhöht haben. Denn wir haben zwar die Arbeitszeit um 20 Prozent reduziert, die Bruttolöhne wurden aber nur um 10 Prozent gekürzt – inklusive Anpassung von Tarifleistungen. Zudem geht mit dem Stabilisierungstarifvertrag eine Vereinbarung zur Standortsicherung für rund 450 Stellen einher. Und wenn sich die finanzielle Situation unseres Unternehmens bessert, dann werden wir auch Einsparungen zum Beispiel bei den Tarifleistungen zurücknehmen.

Jan Stollenwerk über das Für und Wider der Vier-Tage-Woche im Interview mit KAUTSCHUK-Reporterin Isabel Christian. Foto: Gerd Scheffler

Jan Stollenwerk über das Für und Wider der Vier-Tage-Woche im Interview mit KAUTSCHUK-Reporterin Isabel Christian. Foto: Gerd Scheffler

Die Gewerkschaft hat das neue Konzept im November bei den Vertrauensleuten und IGBCE-Mitgliedern zur Abstimmung gestellt und eine Zustimmung von über 90 Prozent erhalten. Im Anschluss gab es eine Mitarbeiterbefragung. Was kam dabei heraus?

Für uns war es wichtig, die Belegschaft eng in diese Entscheidungen miteinzubeziehen. Und es war absolut richtig, denn wir konnten dadurch wertvolle Erkenntnisse gewinnen. Wir haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel gefragt, ob sie insgesamt weniger Stunden arbeiten wollen oder lieber einen komplett freien Tag haben möchten. Die Mehrheit hat sich für den freien Tag entschieden.

Doch natürlich muss die Verwaltung in der Zentrale einer Unternehmensgruppe, die weltweit 18 Standorte hat, die ganze Woche über erreichbar sein. Wie lösen Sie das?

Grundsätzlich besagt die Regelung nur, dass die Mitarbeitenden Anspruch auf einen freien Tag in der Woche haben. Welcher das ist, konnten sie selbst bestimmen. Es sollte ein fester Wochentag sein, damit die Abteilungen Planungssicherheit haben. Bei HR zum Beispiel haben sich die Mitarbeitenden so aufgeteilt, dass die eine Gruppe freitags freihat, die andere montags. So ist das Büro immer besetzt. Natürlich kann man den freien Tag auch mal tauschen, wenn zum Beispiel ein Kundentermin ansteht. Dazu muss über das digitale Zeiterfassungssystem, das wir zeitgleich installiert haben, vorher nur kurz HR Shared Services informiert werden, damit keine Fehlermeldung erscheint.

„Dass die Belegschaft sich für das kollektive Tragen der Einsparziele durch die Vier-Tage-Woche entschieden hat, ist ein tolles Zeichen für die Solidarität und Gemeinschaft innerhalb unseres Woco-Teams“ -  Jan Stollenwerk

Sie haben auch nach den Sorgen gefragt, die die Belegschaft bei einer Vier-Tage-Woche sieht. Was wurde denn als größte Hürden genannt?

Zum einen die Sorge, in der verkürzten Arbeitszeit das Aufgabenpensum nicht mehr zu schaffen. Als Reaktion darauf haben die Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter jeweils Workshops durchgeführt, um zu identifizieren, wo Aufgaben abgespeckt, digitalisiert oder zeitsparender organisiert werden können. In dieser Thematik hat die Befragung gezeigt, dass die jüngeren Kolleginnen und Kollegen im Schnitt offener dafür sind, Prozesse umzustellen und stärker zu digitalisieren. Die Älteren hingegen gaben uns vermehrt die Rückmeldung, dass ihre Arbeits- prozesse eben eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Die zweite Sorge, die viele umtreibt, ist der Verzicht auf Gehalt in der aktuellen Situation mit hoher Inflation und hohen Preisen. Als Abhilfe haben wir den Prozess zur Genehmigung einer Nebenbeschäftigung optimiert, digitalisiert und ohne große Bürokratie ermöglicht. Dennoch sollen die finanziellen Sorgen auf keinen Fall negiert werden. Dass die Belegschaft sich mit Mehrheit für das kollektive Tragen der Einsparziele durch die Vier-Tage-Woche entschieden hat, ist ein tolles Zeichen für die Solidarität und Gemeinschaft innerhalb unseres Woco-Teams.

Woco – die Fakten

Die weltweit tätige Woco-Gruppe mit Sitz in Bad Soden-Salmünster ist ein mittelständisches Familienunternehmen. Der Automobilzulieferer begann als kleiner Gummihersteller, gegründet im Jahr 1956 von Franz Josef Wolf, und betreibt heute weltweit 20 Standorte. Zuletzt erwirtschaftete das Unternehmen mit rund 4.600 Mitarbeitenden einen Umsatz von 614 Millionen Euro.

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