Debatte
Optimisten leben länger
Nie waren die Menschen im hohen Alter so vital wie heute. Zukunftsforscher Daniel Dettling erklärt, welche persönlichen und gesellschaftlichen Chancen sich daraus ergeben
von Stephan Hochrebe
Berlin. „Wir altern heute später und sind länger gesund. Deshalb leben wir länger“, erklärt der Zukunftsforscher Daniel Dettling. Die Formel für ein langes Leben ist dabei kein Geheimnis: ausgewogene Ernährung, Hygiene, körperliche und geistige Betätigung, meiden von Rauchen und Alkohol. Auch ein gutes Familienleben und Freundschaften pflegen gehören dazu, weiß der Gründer des Instituts für Zukunftspolitik in Berlin.
Doch nicht nur die Lebenserwartung ist deutlich gestiegen, auch in puncto Fitness und Vitalität übertreffen die Alten von heute die früheren Generationen. Das eröffnet für jeden Einzelnen wie auch für unsere gesamte Gesellschaft neue Chancen. Wir erklären, warum es gesünder sein kann, länger zu arbeiten, selbst wenn man schon in Rente ist.
Die Wahrscheinlichkeit, 65 oder älter zu werden, hat sich in Deutschland binnen 30 Jahren verdreifacht. Das unterstreichen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Ein Trend, der trotz zeitweiliger Rückschläge durch Grippewellen und Corona weiterhin anhält: Frauen leben heute im Schnitt über vier Jahre länger als noch vor 30 Jahren, Männer sogar über fünf Jahre.
Jung im Herzen
Was dabei besonders in Auge fällt ist das sogenannte „Downaging“, so Dettling: „Die ‚Silver Ager‘ von heute fühlen sich vitaler, geistig und körperlich jünger als Ältere vor ein oder zwei Generationen.“ Heißt: Das gefühlte Alter unterscheidet sich stark von dem im Personalausweis. Umfragen zufolge fühlen sich die 16- bis 29-Jährigen im Schnitt um drei Jahre, die 60- bis 74-Jährigen um acht Jahre und Personen über 75 um zehn Jahre jünger als ihr tatsächliches Alter.
Hinzu kommt: „Optimisten leben gesünder und länger“, sagt der Zukunftsforscher und verweist auf eine Studie der amerikanischen Yale University. Diese belegt den Zusammenhang von positiver Einstellung zum Altern und deutlich höherer Lebenserwartung. Menschen mit einer negativen Einstellung dagegen haben demnach später ein doppelt so hohes Risiko, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu bekommen.
Eine höhere Lebenserwartung plus bessere Arbeitsbedingungen machen längeres Arbeiten möglich. Laut Dettling fördert es sogar die Gesundheit, im fortgeschrittenen Alter – reduziert – berufstätig zu bleiben, selbst über den Beginn des Ruhestands hinaus. Viele Forschungsarbeiten bestätigen, dass Menschen, die weiter gebraucht werden und erwerbstätig sind, weniger an schweren Krankheiten leiden und oft länger leben als gleichaltrige Ruheständler.
Aktiv bleiben im Alter
Heute geht mehr als jeder Zweite in der Generation 60 plus einer bezahlten Tätigkeit nach – eine Verdopplung innerhalb von 20 Jahren. Von den über 70-Jährigen wollen immer noch mehr als 20 Prozent weiter arbeiten, wenn die Gesundheit das zulässt. Das muss nicht zwangsläufig im angestammten Beruf sein: „Viele junge Alte engagieren sich beispielsweise im sozialen Bereich, sogar häufiger und vor allem regelmäßiger als jüngere Menschen“, erläutert Dettling.
Aus all diesen Gründen macht sich der Zukunftsforscher für einen neuen Generationenvertrag stark: Das Potenzial der Alten, sagt er, sollte stärker berücksichtigt werden. „Wir können jetzt die Geschichte des demografischen Wandels neu schreiben. Eine Gesellschaft, die gesund, tätig und engagiert altert, ist eine reifere und freiere Gesellschaft und eher immun gegen Hass, Polarisierung und Zukunftsängste.“