Debatte

Starkes Signal

In ganz Deutschland finden Demos gegen Hass und Hetze statt. Auch am Arbeitsplatz kann man gegenhalten

von Michael Aust und Nadine Keuthen

· Lesezeit 3 Minuten.
München zeigt Haltung: Viele Bundesbürger solidarisieren sich gemeinsam gegen rechte Hetze. Foto: picture alliance/ZUMAPRESS.com

Die Chat-Nachrichten waren verstörend. Als „Polacke“, den man „umnieten“ müsse, wurde ein Kollege in der Whatsapp-Gruppe beleidigt. Die Gruppenmitglieder – alle sieben aus demselben Betrieb – schwadronierten über eine „zionistische Herrscherlobby“. Mitarbeiter mit afrikanischem Migrationshintergrund wurden mit dem „N-Wort“ verunglimpft.

Mit den unappetitlichen Chats befasste sich 2023 das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Denn der Arbeitgeber hatte Wind von den Hass-Posts bekommen – und den Hetzern gekündigt, in Absprache mit dem Betriebsrat. Die Betroffenen zogen durch die Instanzen: Lästern in privaten Chat-Gruppen müsse doch wohl erlaubt sein? Kommt darauf an, urteilte das oberste deutsche Arbeitsgericht – und erklärte die Kündigungen für machbar.

Wo endet Meinung, wo beginnt Hass?

Der Kollegen-Chat aus Niedersachsen ist leider kein Einzelfall. Hass und Hetze haben Konjunktur, vor allem auch in den „sozialen“ Medien. Die Leidtragenden sind oft Minderheiten, zum Beispiel Menschen jüdischen Glaubens: Seit dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel fühlen sie sich auch hierzulande wieder bedroht. Vielen Migranten geht es ähnlich: Seit die Ausweisungsfantasien von Rechtsextremisten und AfD-Politikern bekannt wurden, fürchten sie eine Machtübernahme von rechts noch mehr.

Demo in Darmstadt: Zahlreiche Menschen setzen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus. Foto: Picture Alliance/Boris Roessler

Demo in Darmstadt: Zahlreiche Menschen setzen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus. Foto: Picture Alliance/Boris Roessler

Immerhin gibt es nun endlich Widerstand gegen rechtsextreme Hetze. Hunderttausende gehen dagegen auf die Straße. Verbände, Gewerkschaften und auch Unternehmen beziehen deutlich Stellung. So sagt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Kautschuk-Verbands ADK: „Ohne Zweifel schaden Debatten über ,Remigrations‘-Fantasien oder Abschottungsgedanken der Attraktivität unseres Standortes und unseren international ausgerichteten Unternehmen.“ Gegen Frust und Spaltung sei gute Politik schon immer das beste Mittel gewesen.

Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Die Meinungsfreiheit sei zwar ein im Grundgesetz verankertes Recht, sagt David Beitz, Chefjurist des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. „Aber sie hat auch Grenzen. Beleidigungen zum Beispiel, die nur auf die Person abzielen, oder rassistische, menschenunwürdige Verunglimpfungen sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.“ Der Hitlergruß oder das Schwenken der Hamas-Flagge gelten denn auch nicht als Meinungsäußerung, sondern als Straftat.

Dennoch sind die Grenzen dessen, was man sagen darf, auch im Betrieb sehr weit. „Die Meinungsfreiheit endet nicht am Werktor“, sagt Beitz. Anders als im kirchlichen oder im öffentlichen Dienst haben Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft keine „politischen Treuepflichten“ gegenüber ihrem Arbeitgeber. Heißt: Ist etwa ein Chef gegen Abtreibung, darf man trotzdem eine andere Meinung äußern – auch im Betrieb.

Agitation stört den Betriebsfrieden

„Die Grenze ist erreicht, wo eine politische Meinungsäußerung den Betriebsfrieden stört“, erklärt Beitz. Wann genau das der Fall ist, hatten Gerichte in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder zu entscheiden. Ein klassischer Fall ist aus dem Jahr 1982: Ein Mitarbeiter hatte ständig eine große Anti-Strauß-Plakette am Hemd getragen und damit seine Abneigung gegen den damaligen CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß zum Ausdruck gebracht.

Das war eine Provokation, die den Betriebsfrieden störte, so das BAG: Die fristlose Kündigung war damit angemessen. „Der Grund waren die Größe der Plakette und die Dauer der Zurschaustellung“, erklärt Beitz.

Nun kommt bei vielen Menschen generell schnell Unsicherheit auf, wenn im Kollegenkreis über polarisierende Themen diskutiert wird. Laut „Freiheitsindex 2023“, einer groß angelegten Studie von Allensbach und Media Tenor, glauben nur noch 40 Prozent der Bundesbürger, ihre Meinung frei äußern zu können. Die „gefühlte Meinungsfreiheit“ ist damit auf einem auf die Dauer gefährlichen Tiefstand. Zum Vergleich: 1990 hatten noch rund 80 Prozent der Bürger dieses Freiheitsgefühl.

Schweigen ist keine Lösung

Die aktuelle Bewertung mag daran liegen, dass das Bewusstsein für diskriminierendes Verhalten heute viel größer ist als damals. Das bekommen auch die unabhängigen Antidiskriminierungs-Beratungsstellen im Land zu spüren: Mitunter gibt es lange Wartelisten oder sogar Aufnahmestopps. „Dabei ist es wichtiger denn je, das Beratungsangebot auszubauen und Betroffene zu unterstützen“, sagt Eva Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland. Besonders in der Arbeitswelt könne eine externe Beratung Betroffenen helfen: Wer im Betrieb auf Diskriminierung aufmerksam mache, brauche Mut – und Menschen, die einem den Rücken stärken.

„Ich würde mir als Arbeitgeber wünschen, dass Arbeitnehmer melden, wenn Kollegen etwa wegen ihrer Herkunft beleidigt werden“, sagt Jurist Beitz dazu. „Schweigen ist jedenfalls keine Lösung.“

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