Unternehmensreportagen

Jute statt Plastik? Besser nicht

Kunststoff bleibt oft die bessere Wahl, sagt Michael Ressel. In seinem Familienbetrieb testet er Alternativen, doch viele halten nicht, was sie versprechen

von Isabel Link

· Lesezeit 5 Minuten.
Waschmittel, Dünger, Pancake-Teig: Michael Ressel kann in seinem Betrieb Flaschen für (fast) alles herstellen. KAUTSCHUK/Oliver Knoblich

Eicklingen. Michael Ressel hat eine Mission. Der Geschäftsführer der Ressel GmbH in Eicklingen bei Celle will beweisen, dass Kunststoff nachhaltig sein kann – und dass viele vermeintlich umweltfreundliche Alternativen keine echten Lösungen sind.

Sein Familienunternehmen produziert Kunststoffverpackungen für Lebensmittel wie Pfannkuchenmischungen und Ketchup, aber auch für Reinigungsmittel wie Scheuermilch und Waschmittel. Im Sortiment finden sich zudem außergewöhnliche Produkte – darunter die in anderen Teilen der Welt populäre Po-Dusche. Doch Ressel ist nicht nur Unternehmer, sondern auch Forscher. Seine Werkhallen dienen auch als Versuchslabor. Ob Holz, Maisstärke, Zuckerrohr oder sogenanntes Meeresplastik – mehr als 50 verschiedene Kunststoffalternativen (Substitute) und Recyclingkunststoffe (Rezyklate) hat er getestet. Sein Fazit? Die meisten taugen nicht.

Plastik-Mythos hinterfragt

Der Firmenchef kennt die Vorurteile gegenüber Kunststoff – und auch die Kritik daran. „Als Sohn eines Plastikflaschenherstellers musste ich mir früher von meinen eher grün eingestellten Freunden so einiges anhören“, erzählt er. Deshalb habe ihn das Thema Kunststoff und Umwelt schon immer interessiert. Doch seine eigentliche Mission begann durch einen Zufall – beim morgendlichen Fernsehen.  

Ressel ist Frühaufsteher, sein Wecker klingelt um halb fünf. Während er sich für den Arbeitstag rüstet, läuft oft der Fernseher. Eines Morgens sah er im „Morgenmagazin“ einen Beitrag, der ihn aufhorchen ließ: ein Vergleich zwischen der Umweltbilanz von Plastik- und Papiertüten. Das Ergebnis überraschte ihn. „Für sieben Papiertüten braucht man genauso viel Wasser und Energie wie für eine einzige Plastiktüte“, fasst er zusammen. Und eine Kunststofftüte könne bis zu 137-mal recycelt werden, bevor sie die gleichen Ressourcen verbraucht wie ein Jutebeutel.

„Dennoch dominiert in der öffentlichen Wahrnehmung die Haltung: Plastik ist schlecht für die Umwelt.“ Deshalb beschloss Ressel, das Thema genauer unter die Lupe zu nehmen. Vor allem wollte er herausfinden, ob es tatsächlich ein Material gibt, das die gleichen Anforderungen wie Kunststoff erfüllt, aber ressourcenschonender und recycelbar ist. Sein bisheriges Zwischenfazit lautet nüchtern: „Nein.“

Rezyklat oder Kunststofff-Alternative?: Die Frima Ressel hat sie alle getestet. Kunststoffverpackungen (rechts) und Produkte wie die in ­arabischen Ländern gefragte Po-Dusche (Mitte) entstehen hier im Extrusionsblasverfahren. Fotos: KAUTSCHUK/Oliver Knoblich

Naturstoffe enttäuschen

Im Besprechungsraum im ersten Stock stehen die Ergebnisse seiner Forschung – greifbar, zum Anfassen. Alle bekannten Substitute und Rezyklate hat er an seinen Maschinen getestet. Mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Vor allem Naturstoffe als Kunststoffersatz entpuppen sich als problematisch. Sie eignen sich nicht als Ersatz für Kunststoffverpackungen, schon gar nicht für Lebensmittelverpackungen.

Die Holzflasche? Zu uneben. Die Variante aus Maisstärke? Verformt sich und bricht. „Biowerkstoffe sind als Kunststoffersatz generell schwierig“, sagt Ressel. „Sie erfüllen die hohen Anforderungen der Lebensmittelindustrie nicht und lassen sich nur schwer oder gar nicht weiterverarbeiten.“ Dazu kommt ein weiterer Punkt: Ressourcenverbrauch. Regenwald roden, um Zuckerrohr für Bioplastik anzubauen? Für Ressel keine nachhaltige Lösung.

Plastik im Verruf: Nicht bei Ressel. Die Produktion ist gleichzeitig Labor (rechts) – dort wird getestet statt verteufelt. Foto: KAUTSCHUK/Oliver Knoblich

Fakten statt Desinformation

Um seine Erkenntnisse mit seinen Kunden zu teilen, organisierte Ressel 2019 erstmals ein Event in seiner Firma – mit durchschlagendem Erfolg. Die Nachfrage war so groß, dass er 2021 gebeten wurde, die Veranstaltung zu wiederholen. Und auch in diesem Jahr, am 11. September, lädt er erneut Interessierte ein, um über die Nachhaltigkeitsaspekte von Kunststoffen zu diskutieren. „Das Interesse wächst stetig, das Event wird von Mal zu Mal größer“, sagt Ressel. Und seine eigene Neugier treibt ihn weiter an. Er liest Fachmagazine von Umweltverbänden, testet neue Materialien, hinterfragt gängige Annahmen. „Es gibt so viel Desinformation – dem will ich mit Fakten entgegentreten.“ In der Branche hat er sich längst einen Namen gemacht. Sogar eine große Supermarktkette klopfte im vergangenen Jahr an, um sich mit ihm über nachhaltige Recyclingprodukte auszutauschen.

Die Wahrheit über Meeresplastik

Für Michael Ressel liegt das Problem nicht im Kunststoff selbst, sondern in unserem Umgang damit. „Würden wir Plastik verantwortungsvoller nutzen, könnten wir viel mehr davon wiederverwenden“, sagt er. Ein Beispiel dafür steht in seiner Galerie: eine dunkelgrüne Flasche aus sogenanntem Meeresplastik. Der Name weckt Bilder von Plastikmüllteppichen in den Ozeanen – doch in Wahrheit verbirgt sich dahinter eine Mogelpackung.

„Kunststoff, der tatsächlich im Meer treibt, ist mit Algen und Bakterien verunreinigt. Der lässt sich nicht mehr für Verpackungen verwenden“, erklärt Ressel. Stattdessen stammt das Material aus Küstenregionen, bis zu zweieinhalb Kilometer ins Landesinnere gesammelt – ein Schritt in Richtung Umweltschutz, aber keine Lösung für das Plastikproblem in den Weltmeeren. Denn die schwimmenden Müllinseln verschwinden nicht durch gut gemeinte Recycling-Initiativen. „Sie verschwinden nur, wenn wir aufhören, Plastik achtlos in die Natur zu werfen – und es stattdessen als das behandeln, was es ist: ein wertvoller Rohstoff, aus dem man noch viele nützliche Dinge machen kann.“

 

Ressel GmbH – die Fakten

Die Ressel GmbH nahm 1967 ihren Anfang als Garagenbetrieb, ins Leben gerufen von Michael Ressels Vater. Mit wachsendem Erfolg zog das Familienunternehmen bereits vier Jahre später in eine 1.000  Quadratmeter große Produktionsstätte. Heute sind die Werkhallen achtmal so groß. Die 49 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können hier pro Tag bis zu 320.000  Kunststoffflaschen herstellen.

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