Unternehmensreportagen

Bunte Belegschaft

Gelebte Vielfalt am Arbeitsplatz: Bei Wagu in Warstein bringen Menschen aus 28 Nationen ihre Talente ein – und bauen Brücken zwischen den Kulturen

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Kein Raum für Hass und Hetze: Bei Wagu arbeiten Menschen aus 28 Nationen unter einem Dach. Foto: Kautschuk/Momentum Highlight Photography

Warstein. Multikulti in der Kautschukindustrie: Wie wird das in den Unternehmen gelebt? Um das zu erfahren, fährt der KAUTSCHUK-Reporter zur Wagu Gummitechnik nach Warstein. Hier sind 126 Mitarbeitende aus 28 (!) Nationen beschäftigt, gut 80 dieser Menschen arbeiten in der Produktion.

Geschäftsführer Tobias Nonnast empfängt den Autor mit einem herzlichen Lachen und einer klaren Botschaft: „Unser Ziel ist es, in der Firma ein Klima zu schaffen, in dem unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gern arbeiten kommen. Die Arbeit soll Spaß machen und man soll ohne Anspannung nach Hause gehen können. Wir aus der Geschäftsführung legen großen Wert darauf, dass es unserer Belegschaft im Job gut geht.“

Produktionsleiter Robert Cunaj führt den Reporter und den Fotografen durch den Betrieb. Der 49-Jährige ist Kosovo-Albaner, sein Vater gehörte zur ersten Gastarbeiter-Generation in Deutschland. Bei Conti in Korbach hat Cunaj Kunststoffformgeber gelernt und sich zum Industriemeister weitergebildet. Dann wechselte er zu Wagu, seit nunmehr zehn Jahren ist er im Unternehmen. Die Kolleginnen und Kollegen in der Produktion kennt er alle mit Vornamen.

                         Produktionsleiter Robert Cunaj ist Kosovo-Albaner. Foto: Kautschuk/Momentum Highlight Photography

Produktionsleiter Robert Cunaj ist Kosovo-Albaner. Foto: Kautschuk/Momentum Highlight Photography

Gut 5.000 Rezepturen

Zuerst geht‘s in die Mischerei. Etwa 5.000 Rezepturen hat das Wagu-Team drauf. Pro Jahr mischen die Experten rund 10.000 Tonnen Kautschuk zu 1.600 verschiedenen Compounds – jeweils optimiert für den Einsatzzweck. Was hier auffällt, ist die angenehme Luft und dass sie besonders sauber ist. „Das findet
man nur sehr, sehr selten in einer Mischerei“, bestätigt der Fertigungsleiter.

Barnabas Daniel und Avni Haliti haben Frühschicht. Daniel stammt aus Nigeria. Vor fünf Jahren klingelte der heute 33-Jährige am Werktor und fragte, ob er hier arbeiten könne. „Das hat uns mächtig imponiert. Er konnte zwar nur wenige Worte Deutsch, war aber voller Optimismus“, erzählt Cunaj. Daniel ist verheiratet, hat drei Kinder. Ein Leben von staatlicher Unterstützung – das wollte und konnte er sich nicht vorstellen, Ausweis, Arbeitserlaubnis und auch die sonstigen Papiere stimmten. „Wir haben ihn sofort eingestellt“, so Cunaj. „Er ist unglaublich fleißig und immer positiv. Wenn ich mal schlecht drauf bin, gehe ich immer zu Barnabas: Sein Lachen ist ansteckend.“

                         Barnabas Daniel kam aus Nigeria nach Deutschland. Bei Wagu arbeitet er seit 2019 in der Mischerei. Foto: KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Barnabas Daniel kam aus Nigeria nach Deutschland. Bei Wagu arbeitet er seit 2019 in der Mischerei. Foto: KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Das bestätigt auch sein Kollege Avni Haliti, der mit Daniel zusammen in der Mischerei arbeitet. Er kam vor 20 Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland. „Bei Wagu zu arbeiten, das passt einfach“, sagt der 41-Jährige. Was er genau zu tun bekommt, ist ihm egal: „Avni kann alles. Wiegen, granulieren, Kneter fahren. Er macht bei uns in der Produktion alle Arbeitsschritte“, sagt sein Chef. Die Gummimischungen von Wagu werden übrigens später für Dichtungssysteme, für Walzenbezüge oder als Korrosionsschutz verwendet. Oder sie werden im Maschinenbau, in der Druck- und Folienindustrie sowie in der Förder- und Pumpentechnik eingesetzt.

Millionenschwere Investitionen

In einer Nebenhalle arbeitet Tim Pietsch. Der 23-Jährige hat gerade seine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker abgeschlossen. Er ist der einzige gebürtige Deutsche, der hier an der hochmodernen Kalander-Rollerhead-Anlage zur Herstellung von Gummibahnen arbeitet. Neueste Technik, die auffällt. Und tatsächlich: Zwischen 2018 und 2020 sind insgesamt 10 Millionen Euro in den Standort Warstein geflossen.

Pietsch lässt seinen Blick schweifen und erklärt: „Meine Kollegen kommen aus der Ukraine, Kasachstan, Usbekistan, Albanien, dem Kosovo – und einer ist Roma. Und das finde ich super, weil man von den anderen viel lernen kann. Über ihre Heimat und ihre Religion, das ist total spannend.“

Verfahrensmechaniker Pascal Meeus ist in Deutschland aufgewachsen, sein Vater kommt aus Belgien. KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Verfahrensmechaniker Pascal Meeus ist in Deutschland aufgewachsen, sein Vater kommt aus Belgien. KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Kalandrieren mit höchster Präzision – das ist eine Spezialität von Wagu. Hier gibt es maßgeschneiderte Lösungen – „für jede denkbare Anwendung“, berichtet Pascal Meeus. Der 31-jährige Verfahrensmechaniker kontrolliert gerade die Stärke einer Gummibahn. „Genau 3 Millimeter, passt perfekt“, sagt er. Meeus’ Vater stammt aus Belgien und ist in Deutschland aufgewachsen. Wie ist das Arbeitsklima? „Es gibt nichts zu meckern“, so Meeus, „hier gibt es kein ,Sie‘, wir reden uns alle mit Vornamen an – auch die Chefs.“

Auf dem Weg zurück ins Büro von Geschäftsführer Nonnast erzählt Produktionsleiter Cunaj, dass er es als Kind wegen seiner kosovarischen Herkunft nicht immer leicht hatte „Ich bekomme sofort eine Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke“, sagt er. Wohl auch deshalb ist ihm Toleranz am Arbeitsplatz so wichtig. „Meine Mutter ist Moslemin, mein Vater Katholik. Weil sie in ihrer Heimat nicht heiraten durften, haben sie ihr Land verlassen und sind nach Deutschland gekommen. Das Verständnis für andere hat auch meine Erziehung stark geprägt.“

Avni Haliti stammt ebenfalls aus dem Kosovo. Das Allround-Talent arbeitet zusammen mit Barnabas Daniel in der Mischerei. Foto: KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Avni Haliti stammt ebenfalls aus dem Kosovo. Das Allround-Talent arbeitet zusammen mit Barnabas Daniel in der Mischerei. Foto: KAUTSCHUK/Momentum Highlight Photography

Wann immer nötig, mischt sich Cunaj in politische Diskussionen ein. Als Ausbilder gehört er auch der Prüfungskommission der örtlichen Industrie- und Handelskammer an. Er ist überzeugt davon, dass es immer wichtiger wird, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen: „Um das Fachkräfteproblem zu lösen, sollten wir noch stärker bereit sein, Vorbehalte abzubauen und Menschen aus anderen Kulturen und mit anderen Lebensläufen in unsere Betriebe zu integrieren.“

Hier lebt man das vor: „Das spüren die Kollegen.“ Und wenn es doch mal Spannungen gibt oder Hass und Hetze zu hören sind? „Dann gehe ich sofort dazwischen“ sagt Cunaj. „Bei uns in der Firma ist kein Platz für politische Parolen oder Verschwörungstheorien. Da zeigen wir klare Kante.“

Wagu Gummitechnik – die Fakten

Mit 126 Mitarbeitenden aus 28 Nationen entwickelt, fertigt und liefert Wagu maßgeschneiderte Gummimischungen für Kunden aus 36 Ländern weltweit: Material für – unter anderem – Dichtungssysteme, Walzenbezüge oder Korrosionsschutz sowie Antriebs- und Pumpenelemente aus unterschiedlichsten Kautschuktypen.

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