Unternehmensreportagen

Ein Fahrrad aus Fischernetzen

Die Kölner Firma Igus hat ein City-Bike entwickelt, das aus alten Netzen und Plastikabfällen besteht

von Tanja Wessendorf

· Lesezeit 4 Minuten.
Adieu Rost: Die Inspiration für ein Kunststoff-Fahrrad kam Frank Blase, dem Geschäftsführer von Igus, als er im Urlaub in Florida war und sich über ein rostendes Leihrad ärgerte. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Köln. Die Geschichte des Igus:Bike beginnt 2005 an einem Strand in Florida. Igus-Geschäftsführer Frank Blase macht Urlaub, leiht sich ein Rad aus, entdeckt daran Rost und denkt: „Das kann man doch besser machen. Zum Beispiel mit einem Rad aus Kunststoff.“

Da seine Firma Igus auf die Herstellung von Hochleistungspolymeren für Bewegung – sogenannte Motion Plastics – spezialisiert ist, liegt die Verbindung nahe. Gleitlager der Firma sind schon länger in der Radbranche im Einsatz. Alle Igus-Produkte bestehen aus schmierfreiem Kunststoff und müssen so gut wie gar nicht gewartet werden. „Außerdem sind unsere Produkte leicht und leise und haben eine lange Lebensdauer“, sagt Anja Görtz-Olscher, Public Relations Managerin bei Igus.

In den Werkhallen in Köln werden sogenannte Motion Plastics produziert: Zum Beispiel Energieketten und Gleitlager. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

In den Werkhallen in Köln werden sogenannte Motion Plastics produziert: Zum Beispiel Energieketten und Gleitlager. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Rostfrei radeln

All das sind Eigenschaften, die auch das Kunststoff-Fahrrad mit sich bringen soll, das Geschäftsführer Frank Blase im Urlaub in den Sinn kommt. Er will ein komplett nachhaltiges, recycelbares und wartungsfreies Rad herstellen – allerdings fehlt ihm zunächst die Lösung für Rahmen, Laufräder und Gabel. Richtig Fahrt nimmt die Idee schließlich auf, als Igus sich mit dem niederländischen Start-up mtrl zusammentut, das bereits Rahmen aus Kunststoff herstellt. 2022 wird schließlich das erste Modell auf der Hannover Messe vorgestellt. Seit diesem Jahr hat das gemeinsame Projekt einen neuen Namen. Aus dem Igus:bike ist „RCYL by igus & mtrl“ geworden, ein Wortspiel aus Recycle und Cycle.

Das Rad besteht zu 92 Prozent aus Kunststoff und ist somit resistent gegen Rost und viele andere Umwelteinflüsse. Zum Einsatz kommen verschiedene Standardkunststoffe wie Polyethylen, Polypropylen und Polystyrol, zur Hälfte besteht das Rad aber aus alten und wiederaufbereiteten Fischernetzen aus Europa. „Die Fischernetze haben sich als besonders geeignet herausgestellt. Langfristig wollen wir ihren Anteil auf mindestens 80 Prozent erhöhen“, erklärt Wirtschaftsingenieur Sven Terhardt, Head of Product and Sales RCYL.

Spezielles Verfahren ermöglicht Bauteile, die innen hohl sind

Außer Bremssätteln (Asien), Bremsscheiben (Spanien), Sätteln (England), Schutzblechen (Sauerland) und Lichtern (Niederlande) werden alle Komponenten in Köln produziert. Die großen Bauteile (Rahmen, Gabel und Laufrad) werden im Rotationsgussverfahren hergestellt, alle weiteren Bauteile entstehen im Spritzgussverfahren. Dafür investiert das Unternehmen in die Entwicklung und den Bau der Roto-Molding-Anlagen und nutzt dafür seine 60-jährige Kunststoffexpertise.

Sven Terhardt, Head of Product and Sales RCYL, hält ein Rahmenstück aus 50 Prozent Fischernetzen. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Sven Terhardt, Head of Product and Sales RCYL, hält ein Rahmenstück aus 50 Prozent Fischernetzen. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Design folgt Material

Beim Roto-Molding-Verfahren wird ein Kunststoffpulver erhitzt und in ständiger Rotationsbewegung in eine Form gepresst. Auf diese Weise entstehen Bauteile, die innen hohl sind und das Rad leicht machen – bloß 17 Kilogramm wiegt das Citybike insgesamt. Besonders schlank kommt es dennoch nicht daher. „Das Design richtet sich vor allem nach dem Material. Da es recht weich ist, sind schmale Rahmen eher nicht angebracht“, erklärt Sven Terhardt.

In Köln durchlaufen alle Komponenten auch umfangreiche Sicherheitschecks im eigenen 4.000 Quadratmeter großen Testbereich, um zu beweisen, dass sie auch starke Belastungen aushalten. Anschließend wird alles in externen, zertifizierten Laboren abermals genau geprüft. „Sicherheit ist bei Fahrrädern sehr wichtig. Für sie gibt es keinen Tüv, aber wir müssen beweisen, dass wir alles getan haben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Deshalb sind wir sehr stolz, dass wir alle vorgegebenen DIN-Normen bestanden haben“, sagt Sven Terhardt.

Versandfertig: Verpackt und gesichert ist das Igus-Bike bereit für die Auslieferung. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Versandfertig: Verpackt und gesichert ist das Igus-Bike bereit für die Auslieferung. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Anfang 2024 sind die ersten 100 Räder in Produktion gegangen. Noch werden sie in Köln von vier Mitarbeitern Stück für Stück per Hand zusammengebaut. „Bei den 1.400 Vorbestellungen, die wir jetzt schon haben, könnte das auf Dauer allerdings schwierig werden. Wir müssen zusehen, dass wir automatisieren“, sagt Terhardt. Mit dem Aufbau einer eigenen Produktion möchte Igus für die nächste Saison 5.000 Fahrräder produzieren, 2026 sollen es 10.000 Stück werden.

Derzeit sind die Räder für 1.200 Euro das Stück über rcyl.bike vorbestellbar. „Unsere langfristige Vision ist es, weltweit aus lokalem Müll Räder herzustellen, wo sie gebraucht werden, beispielsweise in afrikanischen oder südamerikanischen Ländern.“ So soll der Müll direkt in einen neuen Kreislauf überführt werden. „Außerdem möchten wir auch Arbeitsplätze und Mobilität schaffen“, erklärt Sven Terhardt.

Handarbeit: Noch werden die Räder bei Igus Stück für Stück per Hand zusammengebaut. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Handarbeit: Noch werden die Räder bei Igus Stück für Stück per Hand zusammengebaut. Foto: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Mittelfristig hat Terhardt außer Einzelkunden vor allem Großverleiher wie Messegesellschaften, Hotels und Campingplätze am Meer im Blick. Da Kunststoff-Räder nicht rosten, sind sie für die feuchte Meeresbrise besonders geeignet – und kämen so wieder näher zu ihrem Ursprung, den Fischernetzen, zurück.

Igus GmbH – die Fakten

Das Kölner Unternehmen Igus wurde 1964 von Günther Blase gegründet. Die Firma hat sich unter dem Stichwort Motion Plastics zum Ziel gesetzt, alles, was sich bewegt, mit Kunststoff zu lösen. Dazu zählen unter anderem Energieketten, Kabel, Gleitlager, Gewindetechnik, Roboter sowie intelligente Sensorik. Produkte von Igus kommen zum Beispiel in Zügen, Flugzeugen und Rolltreppen vor.

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