Unternehmensreportagen

Unkraut wird zum Reifenmacher

Rohstoff aus Löwenzahn: Im Züchtungsbetrieb Eskusa haben Forscher die Pusteblume mit einer russischen Art gekreuzt, damit sie mehr Kautschuk liefert

von Roman Winnicki

· Lesezeit 5 Minuten.
Ausdauernder Forscher: Für die perfekte Kreuzung rieb das Team um Eskusa-Gründer Dr. Eickmeyer rund 4.000 Löwenzahnblüten aneinander. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Parkstetten. Im Süden die Donau, im Norden zahlreiche Weiher und Badeseen: Die Gemeinde Parkstetten im Naturpark Bayerischer Wald bietet gute Bedingungen für eine Menge Freizeitaktivitäten. In dem beschaulichen 3.400-Seelen-Ort wird aber auch intensiv geforscht und experimentiert: in der Eskusa GmbH, auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofs. Chef und Firmengründer Dr. Fred Eickmeyer züchtet und kreuzt mit zwölf Mitarbeitenden Pflanzen aller Art. Er veredelt Saatgut und forscht an landwirtschaftlichen Innovationen. Ganz zentral ist dabei der Russische Löwenzahn. Auf ihn setzt die Kautschukbranche, vor allem die Reifenindustrie, große Hoffnungen.

Warum das so ist, verrät Sprachprofis bereits der Fachbegriff für den Russischen Löwenzahn: Taraxacum koksaghyz. Der Name des Unkrauts setzt sich aus dem lateinischen „Taraxacum“ für Bitterkraut und dem türkischen „kok-saghyz“ zusammen, wobei „kok“ für Wurzel und „saghyz“ für Gummi steht. Der Gehalt an Naturkautschuk ist bei dieser Löwenzahnart, die schon zu Sowjetzeiten in Kasachstan angebaut wurde, höher als bei anderen Arten. Es gibt nur ein Problem: „Die Wurzeln sind viel zu klein, um damit wirklich Erträge zu holen“, erklärt Eickmeyer. „Deshalb haben wir den hiesigen Wiesen-Löwenzahn als Kreuzungspartner genommen.“ Der Wiesen-Löwenzahn hat deutlich größere Wurzeln, die aber nur einen Bruchteil des Kautschuks enthalten.

Das „Unkraut“ in Reih und Glied: Jeder Hektar Feld soll künftig eine Tonne Kautschuk liefern. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Das „Unkraut“ in Reih und Glied: Jeder Hektar Feld soll künftig eine Tonne Kautschuk liefern. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

4.000 Blüten von Hand bestäubt

Der Weg zur langen Wurzel mit hohem Kautschukgehalt war kompliziert. „Viele Experten haben gesagt, das werde nicht funktionieren“, erinnert sich der Züchter. Für eine Kreuzung seien die Löwenzahnarten zu weit voneinander entfernt. Doch Eickmeyer und sein Team ließen sich davon nicht beirren. „Mit etwas Sturheit und einer Prise Naivität haben wir rund 4.000 Blüten aneinandergerieben“, sagt der 59-Jährige. Alles habe man mit der Hand gemacht, eine Herkulesaufgabe. Am Ende standen sieben Körner – sozusagen das Startmaterial für den Naturkautschuk der Zukunft. Seitdem habe man Ertrag und Qualität des „Löwenzahn-Hybrids“ laufend gesteigert. Das Wurzelgewicht hat sich in etwa verzehnfacht. Aktuell, das kann Eickmeyer verraten, liegt der Kautschukgehalt in den Wurzeln zwischen 10 und 20 Prozent. Ursprünglich waren es 3 bis 4 Prozent. Das Ziel für die nächsten sechs bis acht Jahre ist die Produktion von einer Tonne Kautschuk pro Hektar Löwenzahn. „Dann fängt das Ganze an, wirtschaftlich zu werden“, sagt der Forscher.

Das „weiße Gold“: An einer Bruchstelle zieht die Löwenzahnwurzel lange Kautschukfäden. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Das „weiße Gold“: An einer Bruchstelle zieht die Löwenzahnwurzel lange Kautschukfäden. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Zum Vergleich: Plantagen mit Kautschukbäumen werfen bis zu 1,5 Tonnen pro Hektar ab, brauchen aber von der Pflanzung bis zur ersten Ernte acht bis zehn Jahre. Da der Kautschuk vor allem aus Südostasien kommt, ist der Schiffsweg nach Europa lang, teuer und umweltbelastend. Außerdem wird häufig auf gerodeten Urwaldflächen angebaut. Dabei geht der wichtige CO2-Speicher Regenwald verloren.

Fahrradreifen von Continental

Und wie kommt der Löwenzahn nun in den Reifen? „Ähnlich wie bei der Kartoffelernte werden die Wurzeln im Spätsommer oder Herbst aus dem Boden gezogen“, erklärt Eickmeyer. Nach der Ernte werden sie gereinigt und für den Transport zum Automobilzulieferer und Projektpartner Continental vorbereitet. Dort wird das Rohmaterial in einem speziellen Verfahren mit einer Kugelmühle fein zermahlen. Übrig bleiben Pflanzenbrei und eine wässrige Kautschuklösung. Continental stellt daraus bereits Fahrradreifen her. Auch Lkw-Reifen sollen bald in Serie gehen. All das erfordert viel Know-how und ein großes Forschungsnetzwerk, zu dem unter anderem das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Oekologie IME, das Julius-Kühn-Institut und der Pflanzenzüchtungsspezialist Böhm Agrar gehören. „Wir haben bei dieser Züchtung inzwischen eine Dimension erreicht, die unsere kleine Firma allein nicht mehr bewältigen kann und will“, fügt Eickmeyer als Erklärung hinzu.

Doppelter Nutzen: Löwenzahn liefert Nektar für die Bienen – und Rohstoff für die Kautschukindustrie. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Doppelter Nutzen: Löwenzahn liefert Nektar für die Bienen – und Rohstoff für die Kautschukindustrie. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Bei aller Euphorie: Löwenzahn-Kautschuk wird den Naturkautschuk, der aus dem Milchsaft (Latex) des Kautschukbaums gewonnen wird, nicht ersetzen. Der Pflanzenexperte sieht ihn vielmehr als sinnvolle Ergänzung: „Es geht darum, den steigenden Bedarf an Naturkautschuk durch Alternativen zu decken, damit nicht noch mehr tropischer Regenwald für Monokulturen abgeholzt wird und die Artenvielfalt erhalten bleibt.“

Lupine Als Quelle für Biokunststoffe

Doch nicht nur dem Raubbau an der Natur wollen die Forscher entgegengewirken. Ziel ist es auch, die Industrie widerstandsfähiger zu machen. „Über den Kautschukplantagen hängt ein großes Damoklesschwert. In Brasilien zum Beispiel wird kaum noch Kautschuk produziert, weil sich dort ein Pilz ausgebreitet hat. Bricht dieser auch in Südostasien aus, wird die Produktivität deutlich sinken“, prognostiziert der Saatzüchter. Durch die Verwendung von Löwenzahn als alternative Kautschukquelle ließen sich solche Lieferrisiken zumindest minimieren und die Versorgungssicherheit verbessern.

Daneben haben Eickmeyer und sein Team noch mehr Forschungsprojekte auf dem Zettel. So experimentieren sie mit einer weiteren alternativen Rohstoffquelle. Protagonistin ist diesmal die Lupine. Farbenfroh blüht sie in Gärten und auf Äckern, düngt die Böden und ist ein hervorragender Eiweißlieferant. Süßlupinen sind sogar essbar.

Das Material für weitere Forschungen: Speziell gezüchtete Lupinensorten für biologisch abbaubare Folien. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Das Material für weitere Forschungen: Speziell gezüchtete Lupinensorten für biologisch abbaubare Folien. Foto: KAUTSCHUK/Armin Weigel

Abgesehen hat es der Firmengründer allerdings auf die ungenießbare Blaue Bitterlupine: Sie ist reich an Proteinen, die als Basis für Biokunststoffe dienen können. Daraus hergestellte Materialien wie etwa Folien sollen vollständig abbaubar und umweltverträglich sein. Nicht nur die Verpackungsindustrie könnte davon profitieren. Auch ein Einsatz in der Landwirtschaft, etwa in Form von Mulchfolien, ist denkbar. Bis es so weit ist, müssen Eickmeyer und sein Team noch das eine oder andere Erntejahr ackern und forschen.

Eskusa GmbH – die Fakten

Der Züchtungsbetrieb Eskusa GmbH wurde 2010 im bayerischen Parkstetten ins Leben gerufen. Gründer und geschäftsführender Gesellschafter ist der Pflanzenzüchter Dr. Fred Eickmeyer. Das Unternehmen ist unter anderem auf die Züchtung und Vermehrung von Industrie-, Arznei- und Gewürzpflanzen spezialisiert. Ein Team von zwölf Mitarbeitenden produziert jährlich rund zwei Millionen Jungpflanzen im Kundenauftrag.

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