Debatte
Urlaub im Krisengebiet – vertretbar oder Fehltritt?
Brände, Fluten, Erdbeben: An Katastrophenmeldungen ist kein Mangel. Was machen wir als Reisende? Trotzdem hinfahren – oder umbuchen?
von Elke Bieber und Roman Winnicki
Mehr als nur Schaulust
Verheerende Erdbeben und Vulkanausbrüche, Kriegsgebiete oder tragische Atomunfälle: Wenn die rohe Kraft der Natur zuschlägt oder eine menschengemachte Tragödie Leben und Landstriche zerstört, zieht das so manchen Urlauber an. Das mag auf den ersten Blick geschmacklos und ethisch fragwürdig erscheinen. Doch die moralische Dimension ist vielschichtiger und eine Reise per se nicht verwerflich, vorausgesetzt, die Absichten der Reisenden sind wohlüberlegt. Sensationsgier und Abenteuerlust zählen definitiv nicht zu den edlen Motiven. Anteilnahme und Solidarität zeigen sowie Bewusstsein schaffen hingegen schon.
Der Katastrophentourismus – auch „Dark Tourism“ (schwarzer Tourismus) genannt – wird zwar aktuell kontrovers diskutiert, ist allerdings ein jahrhundertealtes Phänomen. Schaulustige, sogenannte „Schlachtenbummler“, die am Rande eines Schlachtfelds stehend das Geschehen aus der Ferne betrachteten, waren in vielen Kriegen „eine fast alltägliche Erscheinung“, erklärt etwa die Bundeszentrale für politische Bildung.
Dass nicht nur Gedenkstätten oder historische Kriegsschauplätze Touristen anziehen, sondern auch Orte, die von Naturkatastrophen heimgesucht wurden, ist ein Phänomen der Moderne. Wichtig ist dabei nur, dass die Anwesenheit mehr nützt als schadet und die Sicherheitslage einen Besuch zulässt. Auf Rhodos zum Beispiel, wo bis vor Kurzem noch Brände wüteten, haben Einheimische Urlauber sogar darum gebeten, ihre Reise nicht zu stornieren. Die Menschen vor Ort sind auf wirtschaftliche Unterstützung angewiesen, und der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen.
Es geht aber ebenso um Empathie und das Gefühl, nicht alleingelassen zu werden. Geteiltes Leid ist halbes Leid, sagt der Volksmund, und da ist etwas Wahres dran. Reisen in ein Katastrophengebiet haben daher auch einen pädagogischen Wert: Sie helfen, Risiken und Folgen von Naturgewalten oder menschlichem Fehlverhalten besser zu verstehen und dieses Wissen mit nach Hause zu nehmen. So wird der Nährboden für mehr Hilfsbereitschaft bereitet. Doch wie so oft – es kommt auf den eigenen Moralkompass an.
Nie und nimmer
Sehenden Auges in die Katastrophe? Im Leben nicht! Nur weil die Katastrophen öfter, verheerender und immer näher stattfinden, heißt das noch lange nicht, dass ich mittendrin stecken möchte, geschweige denn ein Ticket in die Verwüstung löse.
Im Ernst: Werden Mensch und Tier ins Elend gerissen, so bewegt dies auch die vermeintlich Außenstehenden. Denn unser Mitgefühl führt zu Spenden, die Profi-Hilfe vor Ort ermöglichen. Resilientere Länder liefern dann Expertise und Technik, etwa bei der Bergung von Verschütteten. Spätestens seit der Ahrtalflut ist klar, dass Katastrophen auch uns hierzulande betreffen können: Entspannung gibt es nicht mehr. Das Gespür für die eigene Verwundbarkeit wird durch den Welt-Risiko-Bericht der Ruhr-Uni Bochum untermauert. Deutschland liegt im Vergleich von 192 Ländern nur im Mittelfeld. Das Risiko, dass Naturereignisse zu Katastrophen werden, errechnet sich unter anderem aus der Eintrittswahrscheinlichkeit, den Bewältigungsmöglichkeiten und der Anpassungsfähigkeit. Eines niedrigen Risikos erfreuen sich zum Beispiel Belarus, Malta und Ungarn. Dort macht der Urlaub allerdings nur Spaß, wenn man vor anderen Problemen die Augen verschließt.
Was also tun? Das Mittelmeer meiden, weil es ein Flüchtlingsgrab ist und die Küstenländer brennen? Sich die USA abschminken, weil sie den Gewalten durch Mensch und Natur schutzlos ausgeliefert sind? Erdbebengebiete abhaken? Vor jeder Reise den Gletscher- und Erdrutsch-Check machen? Ja!
Denn der Urlaub dient dem Krafttanken. Die Klimakrise ist leider Alltag und belastet nicht nur junge Leute. Für ein paar Wochen brauchen wir Pause von alldem und Quality Time mit unseren Lieben. Davon unbenommen ist Katastrophen-Basiswissen eine wichtige Kernkompetenz unserer Zeit. Gerade während der Ahrtalflut zeigten Helfende mit einem solchen Know-how überragenden Einsatz. Freiwillige opferten damals durchaus ihren Urlaub oder bekamen extra frei, um Flutschäden zu beseitigen und Hilfsgüter zu verteilen. Hut ab! Wer dabei war, weiß: Es dauert lange, um sich vom Anblick der Zerstörung und von der Knochenarbeit zu erholen. Ausgeruht für den Job ist man nach einer solchen Leistung nicht. Aber an Unglücksorte zu reisen, weil sie instagrammable sind? Wie abgrundtief nutzlos!