Debatte
Der Einwuff: Fehlanzeige im MINT-Nachwuchs
Eine Glosse
von Bonzo, dem Ballonhund
Wenn ich es so überlege, habe ich als Ballonhund ein irres Glück gehabt. Das heißt, Michael Faraday, der Erfinder des Luftballons, hatte es. Der Sohn einer Bauerntochter und eines Schmieds hätte genau das bleiben können: Bauer oder Schmied. Doch Bücher und Leute, die ihn nach Kräften förderten, veränderten das Leben des Teenagers. Wissenschaftsvorträge, organisiert für einfache Lehrlinge, trafen auf Wissensdurst, Youngster-Ideen auf wertschätzende Entscheider. So landete ein junger Mann ohne Studium in den Laboren der Royal Institution of Great Britain, experimentierte unter anderem mit Rohgummi und brachte 1824 den ersten kleinen Ballon zum Schweben. Wuff.
Mathe, Naturwissenschaften und Technik sind auch heute und in Deutschland die Fächer, in denen gerade Kinder aus Nichtakademikerhaushalten aufsteigen können. Doch leider fallen sie hinter die Glückspilze dieser Gesellschaft zurück, lange bevor die Entscheidung über eine MINT-Karriere überhaupt ansteht: in Kita und Grundschule. Corona-Lernrückstände sind bei Benachteiligten größer, und ob Elternabende, Nachhilfe oder sonstige Bildungsangebote: Höhergebildete und deutsche Muttersprachler nutzen all dies intensiver als Wenigergebildete und Zugewanderte. Der Weg aufs Gymnasium ist für Nichtakademikerkids erschwert. Kinder ermutigen, Forscherdrang stärken, nö. Es ist zum Jaulen.
Seit 2020 sinkt die Zahl der MINT-Erstsemester dramatisch. Dabei brauchen wir aktuell einiges mehr als, sagen wir mal, biologisch gut abbaubare Ballons. Für Zukunftslösungen sind viele Talente gefragt. Diese verdorren zu lassen, statt sie aufzubauen, ist schädlich. Hab zwar nichts dagegen, meine Existenz ein paar Glücksfällen zu verdanken. Nur: Sollen wir in diesem Jahrhundert allen Ernstes auf den Segen von naturwissenschaftlich interessierten Philanthropen warten? Eine clevere Bildungspolitik könnte viel mehr Begabungen und Innovationen wie die von Michael Faraday hervorbringen. Der wurde übrigens zum führenden Naturforscher seiner Zeit. Wuff, wuff.