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Herausforderung Lieferkette

Das Dilemma des Lieferkettengesetzes: Zwischen globaler Verantwortung und betrieblicher Bürde

von Roman Winnicki

· Lesezeit 4 Minuten.
Das deutsche Lieferkettengesetz: Firmen ringen mit überbordender Bürokratie und globarer Verantwortung. Foto: HN Works – stock.adobe.com

Hannover. Seit dem 1. Januar 2024 müssen hierzulande Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
einhalten. Ein Jahr zuvor galt es noch für Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Und bis vor Kurzem wollte die EU sogar noch einen draufsetzen und unter anderem den Schwellenwert auf bis zu 250 Angestellte verschärfen. Doch das Vorhaben liegt vorerst auf Eis.

Erklärtes Ziel des deutschen Lieferkettengesetzes ist es, eventuelle gravierende Missstände wie Kinderarbeit, unzureichenden Arbeitsschutz oder Umweltschäden bei globalen Zulieferern aktiv zu bekämpfen. Über diese Absichten herrscht auch verbreitet Einigkeit. Trotzdem ist die Regelung vielen ein Dorn im Auge. Ihre Kritiker bezeichnen sie oft als „kostspieliges Bürokratiemonster“.

In Deutschland gibt es laut Statistischem Bundesamt etwa 17.045 Unternehmen, die eine über 250 Frau und Mann starke Belegschaft aufweisen. Wie viele Betriebe von der Tausenderregelung betroffen sind, lässt sich aus der Statistik jedoch nicht ablesen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geht jedenfalls von rund 3.000 Firmen aus, die die Tausendergrenze überschreiten.

Gut gemeint, aber schlecht gemacht

Viele Wirtschaftsverbände, darunter der Arbeitgeberverband der Deutschen Kautschukindustrie (ADK), äußern seit Langem Bedenken gegen das Lieferkettengesetz. Ihre Warnungen vor einer „Bürokratieschockwelle“ und „unkalkulierbaren Risiken“ haben sich noch verstärkt, seit das Gesetz auf Betriebe mit mindestens 1.000 Beschäftigten ausgeweitet wurde.

Dies bedeute jedoch nicht, dass Menschenrechte für die deutsche Wirtschaft verhandelbar seien, betont der ADK. Aber es steht zu befürchten, dass die Unternehmen zur Verantwortung für Verfehlungen gezogen werden, die sie selbst nicht einmal kontrollieren können: „Solch strenge Vorgaben sind nicht nur völlig realitätsfern – sie würden in der Konsequenz dazu führen, dass sich Unternehmen aus Ländern ganz zurückziehen oder ihre Lieferketten ausdünnen“, warnt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des ADK.

Das Kernproblem liegt in einer kaum zu bewältigenden Mammutaufgabe, zumal unzählige deutsche Firmen Geschäftsbeziehungen zu Tausenden von direkten Zulieferern pflegen. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) stellt fest, dass eine vollständige Überwachung der internationalen Lieferketten einem Kampf gegen Windmühlen gleichkommt. Eine weitere Hürde: Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern, aus denen Deutschland seine Produkte und Rohstoffe bezieht,
mangelt es oft an Transparenz oder es gelten schlicht andere Standards.

Betriebe fühlen sich überfordert

Zudem trifft das Lieferkettengesetz nicht nur die „Big Player“ im Markt. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fallen zwar nicht direkt unter die Lieferkettenregelung, können aber indirekt betroffen sein: Sie müssen damit rechnen, dass ihre größeren Geschäftspartner die Sorgfaltspflichten weiterreichen und entsprechende Nachweise einfordern. Für KMU kann dies schnell zu einer bürokratischen und damit finanziellen Belastungsprobe werden.

Das EU-Lieferkettengesetz wäre ein Desaster für die Wettbewerbsfähigkeit der Kautschukbetriebe, so ADK-Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Schmidt. Foto: ADK

Das EU-Lieferkettengesetz wäre ein Desaster für die Wettbewerbsfähigkeit der Kautschukbetriebe, so ADK-Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Schmidt. Foto: ADK

Der bürokratische Mehraufwand will auch bezahlt werden. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft will jedes fünfte Unternehmen die Produktpreise erhöhen und an die Kunden abwälzen. Auch Verstöße können teuer werden: Betriebe müssen mit Bußgeldern von bis zu 8 Millionen Euro oder bis zu 2 Prozent ihres weltweiten Jahresumsatzes rechnen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen.

Und noch einen unerwünschten Nebeneffekt sehen die Ökonomen des IW: „Ziehen sich Unternehmen aufgrund der hohe Kosten aus Schwellen- und Entwicklungsländern mit schwacher Gesetzeskontrolle zurück, hätte dies verheerende Folgen für die dort von ihnen geschaffenen Arbeitsplätze.“

Ein Blick in die Glaskugel offenbart: Das deutsche Lieferkettengesetz könnte noch strenger werden. Denn die geplante EU-Regelung will Unternehmen ab 500 Mitarbeitenden einbeziehen.

Schärfere Vorgaben in Sichtweite

In Risikobranchen wie der Textil-, Agrar-, Rohstoff und Chemieindustrie sollen die Vorschriften schon ab 250 Beschäftigten greifen. Das EU-Recht hat nicht nur Vorrang vor nationalem Recht, sondern brächte auch eine weitere Neuerung: die zivilrechtliche Haftung. Bei Verstößen könnten Firmen von Geschädigten, die im Ausland arbeiten, vor europäischen Gerichten zu Schadenersatz verpflichtet werden. „Die Folge wäre, dass sich Unternehmen aus zahlreichen Märkten zurückziehen müssten, und das ausgerechnet in Zeiten einer fundamentalen Wirtschaftskrise. Das wäre ein Desaster für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe“, sagt Schmidt.

Die jüngste Entwicklung dürfte in zahlreichen Betrieben für leichtes Aufatmen sorgen: Die Abstimmung unter den Mitgliedsstaaten über das europäische Lieferkettengesetz ist vorerst gescheitert, nachdem Deutschland und andere Länder Vorbehalte angemeldet haben. Aus Brüssel heißt es, man werde die Situation prüfen und versuchen, die geäußerten Bedenken auszuräumen. Ad acta gelegt ist das Vorhaben damit also noch nicht.

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