Standort Deutschland

Wachstum anschieben

Deutschland tut sich deutlich schwerer als andere Länder, endlich wieder auf Wachstumskurs zu gehen. Doch gerade das ist entscheidend für unser Land und unsere Wirtschaft. Deshalb sind jetzt alle gefordert

von Stephan Hochrebe und Hans Joachim Wolter

· Lesezeit 5 Minuten.
Die Wirtschaft schrumpft: Der Standort Deutschland braucht dringend einen Wachstumsschub. Foto: ArtmannWitte - stock.adobe.com

München. Ein Kind wächst und gedeiht – bestens! Ein Apfel, der heranreift – lecker! Auch unsere Wirtschaft braucht Wachstum. Tatsächlich aber befindet sie sich seit über einem Jahr im Abschwung. Und auch der weitere Ausblick ist mau. „Es muss jetzt gegen­gesteuert werden, damit die Zeiten für Deutschland nicht noch schwieriger werden“, urteilt Professor Stefan Kooths. Das Wort des Konjunkturchefs des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hat Gewicht. Schließlich gehören die Kieler Wirtschaftsforscher zu den fünf Forschungseinrichtungen, die für die Bundesregierung zweimal jährlich die sogenannte Gemeinschaftsdiagnose erstellen.

Die jüngste wurde Ende September vorgestellt. „Wachstum ist kein Selbstzweck“, betont Kooths. „Viele Herausforderungen, denen sich unsere Gesellschaft stellen muss, sind damit allerdings leichter zu lösen.“ Belege dafür? Kennt Kooths reichlich: „Medizinische Versorgung, Arbeitsbedingungen, Lebenserwartung oder Mobilität – Verbesserungen auf diesen Feldern, die in der Vergangenheit erreicht wurden, waren nur möglich durch wirtschaftliche Fortschritte.“

Innovationen helfen dem Klimaschutz

Letztlich diene wirtschaftliche Aktivität dazu, neue und bessere Güter hervorzubringen, mit denen wir unsere menschlichen Bedürfnisse befriedigen können. „Der Mensch ist nun mal ein strebendes Wesen“, erläutert ­Kooths. „Nur daher kommt es, dass der Großteil der Menschen in Europa und vielen anderen Regionen heute sogar besser leben kann als einst die oberen Zehntausend.“

Was aber ist mit Wachstumskritikern wie etwa den Klima-Klebern der „Letzten Generation“? Haben sie nicht recht, dass wir uns alle mehr einschränken müssen, um das Weltklima im Lot zu halten? Kooths sieht das anders: „Letztlich lassen sich Treibausgas-Emissionen nur mit Innovationen reduzieren. Und technischer Fortschritt ist nur möglich, wenn es wirtschaftliches Wachstum gibt.“

Beispiele dafür sind die Entwicklung von Abgas-Katalysatoren und Luftfiltern, effizienteren Fertigungsanlagen, sparsameren Automotoren, modernen Klärwerken und Mülltrenn-Technik oder leistungsstarken Windkrafträdern. Sie alle tragen dazu bei, dass Luft, Wasser oder Boden in den letzten Jahrzehnten deutlich sauberer geworden sind. Das gilt etwa für die allermeisten Flüsse – selbst für den früher stark verschmutzten Rhein. Oder die Luft: Die allermeisten europäischen Grenzwerte für Schadstoffe werden inzwischen eingehalten. Und über 70 Prozent des Mülls aus Haushalten, Firmen und Behörden werden mittlerweile recycelt. Das ist ein Spitzenwert, auch im europäischen Vergleich.

Alles gut also? Von wegen. Denn ausgerechnet am Wachstum, dem Treiber des Fortschritts, hapert es derzeit heftig. Das unterstrich zuletzt die Gemeinschaftsdiagnose für 2023, Ende September veröffentlicht von den fünf staatlich finanzierten Wirtschaftsforschungsinstituten Deutschlands. Demnach schrumpft unsere Wirtschaft in diesem Jahr um 0,6 Prozent. Das sind gleich 0,9 Prozentpunkte weniger als noch im Frühjahr erwartet. 2024 soll es wieder aufwärtsgehen, doch nur um 1,3 Prozent. Das ist Schmalspur, auch im Vergleich mit den allermeisten anderen Industrieländern. Und dabei steht noch gar nicht fest, welche wirtschaftlichen Folgen das Aus des Bundesverfassungsgerichts zum 60-Milliarden-Schattenhaushalt der Ampel-Regierung hat.

Wie konnte es so weit kommen?

Nach dem Corona-Einbruch hatte doch zunächst wirtschaftliche Erholung ­eingesetzt. Doch die wurde abgewürgt – vor allem vom sprunghaften Anstieg ­der Energiepreise, ausgelöst durch Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine im Februar 2022. Seither machen die Preise Verbrauchern und Unternehmen gleichermaßen zu schaffen, stärker als zunächst erwartet. „Immerhin entspannt sich die Lage an der Preisfront nun nach und nach“, erklären die Institute. Ein Hoffnungsschimmer. Richtig Bauchschmerzen bereitet aber ein anderer Befund der Wirtschaftsforscher: „Die Stimmung in den Betrieben hat sich zuletzt erneut verschlechtert, ihre Investitionsbereitschaft ist gesunken“, schreiben sie.

Dazu trage auch politische Unsicherheit bei, ausgelöst insbesondere durch eine Vielzahl staatlicher Eingriffe in das Wirtschaftsleben – man denke nur an das Heizungsgesetz, das Hausbesitzer und Heizungshersteller kirre machte. Oder an das sogenannte Lieferketten­gesetz, das den Betrieben neue Bürokratie aufbürdet und das Wirtschaftsleben erschwert.

Deutschland kämpft gegen die Alterskrise

IfW-Konjunkturchef Kooths kommt zu dem Befund: „Eine echte Wachstumswende ist für Deutschland nicht in Sicht.“ Eine andere aktuelle Mittelfrist-Pro­gnose der Kieler Konjunkturforscher unterstreicht das zusätzlich. Sie hebt zudem einen Wachstums-­Killer hervor, der die aktuellen Inflationssorgen noch locker in den Schatten stellt: die Alterung unserer Bevölkerung. Sie verstärkt den Personalmangel, der heute schon an jeder Ecke spürbar ist, noch weiter. Derzeit halten sich die Zahlen der Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger sowie derjenigen, die aus dem Job ausscheiden, noch die Waage. Doch spätestens im Jahr 2025, so das IfW, werden sich pro Jahr mindestens 200.000 Menschen mehr aus dem Erwerbsleben verabschieden als neu hinzukommen.

„Gegengesteuert werden kann nur durch mehr Fachkräfte-Zuwanderung als bisher“, betont Kooths. Leichter gesagt als getan, denn: „Der Wettbewerb um die Talente der Welt wird härter, weil auch andere Länder demografische Probleme haben“, sagt Kooths. „Umso wichtiger wird eine wachstumsstärkende Politik, die den Standort Deutschland attraktiver macht.“ Jetzt komme es darauf an, jene Standortfaktoren zu stärken, die man selbst in der Hand habe.

Und die entsprechende Aufgaben-Liste ist inzwischen richtig lang geworden. Um nur einige Stichworte zu nennen: bessere Bildung, Modernisierung der Verkehrswege und der digitalen Infrastruktur, Bürokratie-Abbau, bessere  Baubedingungen, Rentenreform, eine geringere Steuern- und Abgabenlast. „Fortschritte hier beflügeln nicht nur die Betriebe – sie machen unser Land auch für ausländische Fachkräfte interessanter“, bemerkt Kooths.

Was aber, wenn Deutschland die Kurve nicht kriegt? Dann wird es erst recht haarig. „Ohne echte neue Wachstumsimpulse droht eine Phase zunehmender Verteilungskonflikte“, sagt der Kieler Experte voraus. „Denn zugleich müssen mehr Menschen versorgt werden, die nicht mehr zur Produktion beitragen. Das stresst die Staatshaushalte.“ Und dann fehlt dringend benötigtes Geld für den Erhalt und die Modernisierung unseres Gemeinwesens. Ein regelrechtes Horrorszenario. Da erscheint es besser, wenn alle ihren Teil dazu beitragen, um die Wachstumskräfte schon heute zu stärken – und für ­unsere Kinder alles klarzumachen zum Durchstarten.

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