Kautschuk-Konjunktur
Kautschuk-Konjunktur: So sieht der ADK-Präsident die Lage
Derzeit werden entscheidende Weichen für die Zukunft der Branche gestellt, betont Sven Vogt.
von Werner Fricke
Die Temperatur im Besprechungsraum ist gedrosselt. Auf dem Fußboden steht der nagelneue 65-Zoll-Monitor. „Den müssen wir noch montieren“, sagt Sven Vogt. Wer den Chef der KKT Gruppe in Osterode besucht, ist schnell im Thema: Energiesparen und Digitalisierung sind nur zwei Stichworte. Corona, Lieferketten, Klima, Russland/Ukraine – Vogt zählt sie alle auf. Er kommt auf alle zu sprechen. Auch auf seine jüngste Reise nach Tunesien, wo er einen weiteren Standort hat. Doch der Reihe nach.
Die Krisen kämen derzeit in kurzen Abständen und von allen Seiten, sagt er. Unwillkürlich fragt man sich – welch düstere Welt entsteht da gerade? Doch Sven Vogt ist zuversichtlich. „Wir schlittern in eine Rezession, ja“, sagt er und fügt an: „Das muss keine tiefe Wirtschaftskrise werden.“ Er sei „optimistisch, wenn die richtigen Lehren gezogen werden“.
Vogt ist im Ehrenamt Präsident der Kautschuk-Arbeitgeber und im Vorstand des Wirtschaftsverbands der Branche. Er kennt die Betriebe ausgezeichnet. Die Frage, wie er ins neue Jahr schaut, beantwortet er mit: „Zuversichtlicher als noch im letzten Sommer. Die Resilienz der Betriebe ist offenbar größer, als viele Skeptiker denken.“ Und viele der Probleme des letzten Jahres seien entspannter. Weil Rohstoffe wieder leichter zu bekommen und Preise besser zu kalkulieren sind. „All das sind positive Aspekte“, sagt Vogt.
Politik muss Standortbedingungen verbessern
In seinen Gesprächen mit den zumeist mittelständischen Unternehmern treffe er trotz der vielen schlechten Vorzeichen auf Entschlossenheit und Zuversicht. „Der Mittelstand hat gelernt, sich auf das volatile Umfeld einzustellen.“ Es sei ein gutes Zeichen, dass die allermeisten mittelständischen Unternehmen derzeit stabiler dastehen, als noch vor einiger Zeit befürchtet. Sicher auch dank staatlicher Hilfen. „So werden Dominoeffekte verhindert“, sagt er. Und er gibt zu: „Die Problemfälle, die wir derzeit sehen, haben ihre Ursachen nicht selten auch abseits der Krisen.“ Er spricht damit an, dass Deutschland Gefahr laufe, als Industriestandort an Wert zu verlieren. Die Politik müsse für bessere Standortbedingungen etwa bei der Infrastruktur sorgen. Und natürlich auf Steuererhöhungen verzichten. Sie muss begreifen, dass die Firmen auch einen Strukturwandel zu bewältigen haben. „Das alles zusammen ist ein schwerer Rucksack für die Betriebe“, sagt er.
Sven Vogt kann es gut beurteilen, denn er ist regelmäßig in Tunesien. Dort hat er ein Werk mit 450 Mitarbeitern, das Kabelsätze und Schaltabdeckungen für die Autoindustrie fertigt. Die dafür erforderliche Lederbearbeitung sei in Deutschland nicht mehr möglich, weil das Know-how für diese Montage bei uns nicht mehr vorhanden sei.
Der Firmenchef beobachtet, dass sich in den vergangenen zwei, drei Jahren viele europäische Unternehmen in Tunesien angesiedelt haben. Er lobt die stabilen politischen Rahmenbedingungen, die geringen Energie- und Lohnkosten. Und dass es kaum Sprachbarrieren gebe, weil die Qualifikation der Mitarbeiter immer besser werde. Kurzum: „Das alles muss uns in Deutschland sehr zu denken geben“, sagt Vogt.
Ein wichtiges Anliegen ist dem Kautschuk-Chef das Thema Nachhaltigkeit. Wachstum und Klimaschutz sind für ihn keine Gegensätze. Das ist auch eine Chance für die Unternehmen. Wer es jetzt versteht, Energiemanagement und Digitalisierung klug zu vereinen, werde vorn dabei sein. „30 Prozent Strom zu sparen, das will gemanagt werden“, sagt er. Er erwartet in den nächsten zwei Jahren einen extremen Schub. Daten, Daten, Daten seien die Stichworte. Dafür bedarf es qualifizierter Mitarbeiter.
Kulturwandel in der Arbeitswelt
Er zeigt auf den neuen Bildschirm auf dem Fußboden des Besprechungsraums. „Wir werden in Zukunft viel mehr Videokonferenzen halten und so Reisezeit und Kosten sparen.“ Das betrifft auch den Wandel in der Arbeitswelt. Homeoffice werde normal. Ein neues Denken betreffe auch die Bewertung von geleisteter Arbeit.
„Entscheidend wird sein, was und nicht wo etwas geleistet wird“, sagt er. Das neue Denken betreffe nicht nur die Mitarbeiter, sondern ebenso die Unternehmen. Diesen Kulturwandel hält er für die größte Veränderung, die ein Unternehmen durchlaufen kann. Nicht neue Maschinen und neue Technik seien die Lösung. „Ein neues Mindset ist erforderlich“, fordert er. Die nächsten Jahren seien entscheidend für die nächsten Jahrzehnte. „Sie werden besonders anstrengend.“
Hoffnung macht ihm die Sozialpartnerschaft in Deutschland – vor allem das gute Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft in der Kautschukbranche: „Unseren Gesprächen mit der Gewerkschaft vertraue ich sehr.“ Vogt hält es für extrem wichtig, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaft rechtzeitig und in aller Offenheit über die aktuelle Situation sprechen. Für ihn ist diese Sozialpartnerschaft „der Kitt der Gesellschaft“.
„Wir müssen schauen, wo wir stärker ausfugen können, denn wir als Sozialpartner haben eine hohe Verantwortung, damit der Betriebsfrieden gesichert wird.“ Zuversichtlich für die anstehende Tarifrunde ist er, weil die kleine Kautschukbranche zuletzt immer schnell und pragmatisch Lösungen für Mitarbeiter und Betriebe gefunden habe. „Es braucht diese Beispiele aus kleinen Branchen, um eine Signalwirkung zu erzeugen.“