Unternehmensreportagen

Lokale Pioniere im globalen Rennen

Was Sealable in Waltershausen zu bieten hat, beeindruckt sogar den Bundeskanzler

von Uwe Rempe

· Lesezeit 4 Minuten.
Blick aufs Detail: Anlagenfahrer Jens Taubert erklärt Bundeskanzler Olaf Scholz die Funktionsweise seiner Maschine. Foto: KAUTSCHUK/Wiegand Sturm

Waltershausen. Jens Taubert spricht. Und Bundeskanzler Olaf Scholz hört dem erfahrenen Anlagenfahrer genauso interessiert zu wie die anderen Gäste. Taubert erklärt zum Beispiel, wie die insgesamt 140 Meter lange Extrusionsanlage funktioniert. Und natürlich auch, welches Produkt hier eigentlich gerade hergestellt wird – bei Sealable Solutions im thüringischen Waltershausen.

Heute sind es Kautschuk-Profile, die in langlebigen Gummi-Schienenlagerungssystemen verwendet werden. Diese isolieren die Schienen gegen den sogenannten Streustrom (was Korrosion verhindert) gegen Schwingungen und gegen Vibrationen. Und sie dämpfen, gemeinsam mit ebenfalls hier produzierten Gleisbettmatten, die Geräuschkulisse von Straßen- oder Eisenbahnen erheblich.

Rail Comfort System, kurz RCS, nennt sich die begehrte Produktgruppe für den Um- und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs insbesondere in innerstädtischen Lagen. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ist das System verbaut. Aktuelle Beispiele: St. Louis, Prag, Dublin und Brüssel.

„Für mich war das ein guter Besuch, der mich sehr zuversichtlich für die Zukunft unseres Landes stimmt“ - Bundeskanzler Olaf Scholz

Darüber hinaus reicht die Produktpalette der Thüringer vom einfachen Dichtungsprofil bis hin zum komplexen Abdichtsystem für schildvorgetriebene Tunnelsysteme. Der Besuch des Kanzlers im Betrieb dauert insgesamt anderthalb Stunden, Berührungsängste hat Scholz keine: Er lässt sich von einigen Beschäftigten ihren Arbeitsplatz und ihren Job erklären. Nach dem Rundgang zeigt sich Olaf Scholz beeindruckt, er lobt die Innovationskraft und die Kreativität von Unternehmen und Mitarbeitern. „Für mich war das ein guter Besuch, der mich sehr zuversichtlich für die Zukunft unseres Landes stimmt.“

Wieso nun ausgerechnet ihr Betrieb dafür ausgewählt wurde – das wissen die zwei Geschäftsführer des Mittelständlers bis heute nicht genau. „Weil wir ein inhabergeführtes und innovatives Unternehmen sind und noch in der Heimat produzieren statt irgendwo anders auf der Welt“, vermutet Matthias Klug. Der hohe Besuch sei jedenfalls eine Ehre für sie gewesen.

Blick aufs Produkt: Die beiden Geschäftsführer Matthias Orth (ganz links) und Mathias Klug (ganz rechts) zeigen Olaf Scholz eine Startdichtung für den Tunnelbau. Neben dem Kanzler steht Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung.

Blick aufs Produkt: Die beiden Geschäftsführer Matthias Orth (ganz links) und Mathias Klug (ganz rechts) zeigen Olaf Scholz eine Startdichtung für den Tunnelbau. Neben dem Kanzler steht Carsten Schneider, der Ostbeauftragte der Bundesregierung.

Und Matthias Orth ergänzt: „Das hat uns zudem die Möglichkeit gegeben, die Aufmerksamkeit des Kanzlers auf Themen wie die aktuelle Lage des Mittelstands zu lenken.“ Oder darauf, dass es Gründer in Deutschland recht schwer haben. Bei letzterem Thema sind die zwei 48-Jährigen wahre Experten.

Chancen und Risiken Lange abgewogen

Denn Anfang Mai 2020 – also mitten in der ersten Coronawelle – haben die beiden, bis dahin angestellt als Geschäftsführer und Vertriebsleiter, ihren Betrieb vom damaligen Eigentümer übernommen. Das war der Schweizer Industriezulieferer Dätwyler. „Waltershausen passte nicht mehr zum Kerngeschäft und den Zukunftsplänen der Gruppe“, erzählt Orth. Trotz damals 36 Millionen Euro Jahresumsatz und schwarzen Zahlen.

Ausschlaggebend für die Übernahme war ein ganzes Bündel von Pro-Argumenten. „Einerseits war unsere Produktionstechnik auf dem neusten Stand, wir hatten einen großen und treuen Kundenstamm – und andererseits wollten wir unbedingt die Arbeitsplätze und das Know-how am Standort erhalten“, sagt Orth. Übers Knie gebrochen wurde trotzdem nichts, Chancen und Risiken wurden sorgsam abgewogen. „Nach zweieinhalb Jahren Vorbereitung haben wir die Firma mithilfe einer erfahrenen Beteiligungsgesellschaft gekauft.“

Blick in die Produktion: Bei Sealable arbeiten 170 Menschen.

Blick in die Produktion: Bei Sealable arbeiten 170 Menschen.

Und nicht zuletzt hatten die zwei Macher noch jede Menge Ideen und Projekte, die sie gerne umsetzen wollten. Beispielsweise hatte die Firma 2018 den Innovationspreis Thüringen für ein „Velo-Gleis“ abgeräumt: Da schützt ein Gummiprofil in der Spurrille einer Schiene Radfahrer davor, im Gleis hängen zu bleiben und zu stürzen. Heute sorgt diese Innovation unter anderem in Zürich, Basel, Düsseldorf und Regensburg für mehr Radler-Sicherheit. Auch deshalb wurde schon 2022 mit dann 38 Millionen Euro der alte Umsatzrekord gebrochen.

Und im April 2023 hat Sealable als erstes Unternehmen der Welt eine Zertifizierung sowie eine CE-Kennzeichnung für eine sogenannte Tübbingdichtung für den Tunnelbau erhalten. Tübbinge sind vorgefertigte Beton-Bauteile, aus denen die Innenseiten von Tunneln montiert werden. „Diese Zertifizierung ist ein Meilenstein für uns und eine wegweisende Innovation für die gesamte Branche“, ordnet Matthias Klug diese Entscheidung der zuständigen Bewertungsstelle ein. Damit dürfte es in Waltershausen weiter aufwärtsgehen.

Sealable Solutions – die Fakten

170 Beschäftigte hat die Sealable Solutions GmbH in Waltershausen. Im Mai 2020 ist sie durch ein Management-Buy-out (MBO) seitens Matthias Ort und Matthias Klug vom Schweizer Unternehmen Dätwyler Sealing Technologies übernommen worden. Sealable entwickelt, fertigt und vertreibt seine Produkte in über 50 Staaten. Die Produktpalette auf Basis von Synthetik- und Naturkautschuk reicht vom Dichtungsprofil bis zu komplexen Abdichtsystemen für Tunnel.

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