
Neues aus der Forschung
Kautschuk unter Hitzestress
Steigende Temperaturen und Wetterextreme bedrohen den Naturkautschuk. Eine aktuelle Studie zeigt ernste Szenarien auf – und auch, was zu tun ist
von Elke Bieber
Naturkautschuk findet sich in vielen Anwendungen, etwa in Autoreifen. Die Zukunft dieses Rohstoffs ist kritisch. Eine Studie des französischen Forschungszentrums CIRAD (Centre de coopération internationale en recherche agronomique pour le développement) zeigt, wie die Klimakrise den Anbau von „Hevea brasiliensis“, dem Kautschukbaum, in acht ausgewählten Ländern beeinflusst. Bis zum Jahr 2100 könnten Teile der Produktionsgebiete unbrauchbar werden.
In einem mittleren Szenario, bei dem Klimaschutzmaßnahmen greifen, sind alle traditionellen Anbaugebiete in den Ländern Thailand, Indonesien, Vietnam, Côte d’Ivoire, Indien, Malaysia, Kambodscha und Brasilien betroffen. Zugleich entstehen jedoch innerhalb der Landesgrenzen Klimazonen, die sich für den Kautschukanbau eignen – theoretisch. In einem etwas ungünstigeren Szenario ist das nicht mehr möglich.
Es bleiben demnach nur noch Anbauflächen übrig, die für Kautschuk nicht optimal sind. Szenarien, in denen die Treibhausgasemissionen nicht kontrolliert oder eingedämmt werden können, bedeuten aus der Sicht des Autorenteams sogar „das Verschwinden der globalen Naturkautschukwirtschaft vor dem Ende des 21. Jahrhunderts“.
Der Grund: Der Kautschukbaum hat eine Temperaturgrenze. Heute gedeiht er am besten bei durchschnittlichen Jahrestemperaturen von 25 bis 28 Grad Celsius. Überschreitet die Durchschnittstemperatur dauerhaft 28 Grad, leidet die Produktion.
Spürbare Risiken an mehreren Fronten
Wie die Autoren des aktuellen „World Rubber Industry Outlook“ (WRIO) aufzeigen, hat sich der Klimawandel schon jetzt „erheblich auf die Hektarerträge ausgewirkt“: Taifune, Stürme, Überschwemmungen und schwankende Niederschläge beeinträchtigen demnach die Produktion in den traditionellen wie auch in den marginalen Kautschukanbauregionen.
Drohende Knappheit bei Kautschuk
Hans Evers, Sustainability Manager bei dem Hamburger Kautschuk-Importeur Weber & Schaer, hält sich häufig in den Anbaugebieten auf. Er berichtet: „Tatsächlich gibt es eine deutliche Auswirkung, unter anderem durch verlängertes Wintering und lange Trockenperioden.“ Michael Berthel vom Wirtschaftsverband der deutschen Kautschukindustrie (WDK) führt den hohen Preissprung für Naturkautschuk im Jahr 2024 auch auf die Klimaeinflüsse zurück. Zugleich gilt „für den ohnehin gebeutelten Markt“: Die Nachfrage nach Naturkautschuk ist höher als das Angebot. Je nach Entwicklung der Weltwirtschaft erwartet Berthel „eine gewisse Knappheit“ des Rohstoffs. Der WRIO nennt für die sinkenden Ernten noch eine Reihe weiterer Gründe: Arbeitskräftemangel führt dazu, dass Bäume seltener oder gar nicht angezapft werden; Pflanzenkrankheiten schwächen die Bestände in Asien und Südamerika; ertragsarme Bäume werden nur unzureichend ersetzt.
Seit 2020 sinkt die Gesamtanbaufläche in zahlreichen wichtigen Lieferländern Asiens. Experten wie Michael Berthel beobachten eine Verschiebung der Produktion nach Afrika, mit Côte d’Ivoire an der Spitze. Das westafrikanische Land hat seine Produktion von 2018 (624.200 Tonnen) bis 2023 (1.548.000 Tonnen) mehr als verdoppelt. Allerdings verschlechtert der CIRAD-Analyse zufolge die Klimakrise die Anbaubedingungen selbst dort – sowohl in den traditionellen als auch in den neu erschlossenen Anbaugebieten von Côte d’Ivoire.
Druck durch EU-Verordnung
Das CIRAD-Forscherteam warnt davor, neue Flächen in ökologisch sensiblen Regionen zu erschließen, und fordert eine strenge Regulierung gegen Entwaldung. Diese gibt es für die EU bereits. Die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte, auch bekannt als EU-Deforestation Regulation (EUDR), soll die weltweite Entwaldung und Waldschädigung eindämmen. Die EUDR legt strenge Anforderungen an Unternehmen fest, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten entwaldungsfrei sind. Ab Ende Dezember müssen große und mittlere Unternehmen, ab Mitte 2026 auch Kleinunternehmen nachweisen, dass die betroffenen Rohstoffe nicht von Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Kautschuk ist ein solcher Rohstoff.
Für Ulrich Giese, Professor und Abteilungsleiter Elastomerchemie am Deutschen Institut für Kautschuktechnologie, ist damit klar: „Die Anbauflächen werden nicht größer – der Engpass ist vorprogrammiert.“ Zudem könne der EU-Formalismus die Kleinbauern überfordern. Sie machen das Gros der Kautschukproduzenten aus. Naturkautschuk durch Materialinnovationen zu ersetzen, betrachtet er derzeit nicht als vielversprechenden Weg: „Naturkautschuk ist und bleibt ein einzigartiger Rohstoff.“ Zu seinen besonderen Eigenschaften zählen die extrem gute Festigkeit, relativ geringe Eigenerwärmung bei dynamischer Belastung und hohe Stabilität gegen Zugkräfte.
Versuche, in Europa Naturkautschuk durch Biosynthese oder Löwenzahn zu erzeugen, „reichen an den Ertrag des Kautschukbaums nicht heran“. Und der Ersatz durch fossile Materialien sei keine klimagerechte Option.
Forschung für heiße Zeiten
Das CIRAD sieht folgende To-dos: Mehr Forschung zur Anpassung des Kautschukanbaus an den Klimawandel – ein Schlüssel liege in der Züchtung hitzeresistenter Bäume sowie in der Bodenauswahl und -optimierung. Auch die landwirtschaftliche Praxis vor, während und nach der Ernte lasse sich verbessern. Entsprechende Projekte mit internationalen Partnerorganisationen sind bereits im Gange.